
Wenn Homophobie den Schulalltag bestimmt
Eine Debatte um den Fall Oziel Inácio-Stech an der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit
Der Fall des Grundschullehrers Oziel Inácio-Stech ist mehr als ein persönliches Drama – er ist ein Weckruf. Es geht um Homophobie, um das Versagen von Schulstrukturen, um das Schweigen von Verantwortlichen und letztlich um die Frage, welche Werte in deutschen Schulen wirklich gelebt werden.
Inácio-Stech hat getan, was viele von uns sich wünschen: Er war ehrlich. Offen. Mutig.
Sein Coming-out gegenüber Schülern war kein Akt der Provokation, sondern einer des Vertrauens – ein pädagogisches Bekenntnis zu Authentizität und Vielfalt.
Doch was folgte, war nicht Akzeptanz, sondern Ausgrenzung. Beleidigungen wie „Du kommst in die Hölle“ oder „Du bist eine Schande für den Islam“ hallen seitdem durch die Flure einer Berliner Grundschule. Dass diese Worte von Kindern kommen, ist erschütternd – dass sie offenbar ohne Konsequenzen bleiben, ist alarmierend.
Besonders bedrückend: Nicht etwa die Täter, sondern das Opfer steht plötzlich unter Verdacht. Die Schulleitung ermahnt den Lehrer, „zu große Nähe“ zu vermeiden – eine subtile Täter-Opfer-Umkehr, die nicht nur diskriminierend ist, sondern das pädagogische Vertrauen untergräbt.
Die Schulaufsicht wiederum zeigt mehr Interesse am „Schulfrieden“ als an Gerechtigkeit. Ein Lehrer wird gemobbt, krankgeschrieben, psychisch zermürbt – und das System schaut weg.
Hier stellt sich unweigerlich die Frage: Wenn Eltern ihre Kinder mit solchen intoleranten Haltungen erziehen – warum kamen sie überhaupt nach Deutschland? Und teilen sie überhaupt die Werte, auf denen dieses Land aufgebaut wurde – Werte wie Gleichberechtigung, Würde, Freiheit?
Diese Episode ist ein Spiegel eines tiefer liegenden Problems: das Versagen der Integration, das nicht selten auf dem Rücken von Minderheiten ausgetragen wird.
Wenn Kinder in einem deutschen Klassenraum andere für ihre sexuelle Orientierung beleidigen – gestützt durch das, was sie zu Hause oder in ihrem Umfeld hören – dann hat unsere Gesellschaft an entscheidender Stelle versagt – dann hat die Politik der letzten Jahre versagt.
Integration ist kein Einbahnstraßenprojekt, sondern ein aktiver, gegenseitiger Prozess. Wer hier lebt, muss auch die Grundprinzipien unseres demokratischen Zusammenlebens anerkennen – dazu gehört auch der Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.
Natürlich ist es richtig, dass in Schulklassen kulturelle und religiöse Vielfalt herrscht. Aber diese darf niemals als Vorwand dienen, um menschenfeindliche Einstellungen zu legitimieren. Wer Homosexualität als „Sünde“ oder „Schande“ diffamiert, sollte nicht mit Toleranz verwechselt werden. Schulen müssen Orte sein, an denen Kinder lernen, respektvoll miteinander umzugehen – unabhängig von Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung.
Das gelingt nur, wenn Lehrkräfte Rückhalt spüren. Wenn Diskriminierung benannt, geahndet und nicht relativiert wird.
Der Fall Oziel Inácio-Stech zeigt: Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Es reicht nicht, Diskriminierungspläne in Ordnern zu verankern. Es braucht Haltung, Mut – und klare Konsequenzen für alle Formen von Ausgrenzung. Nicht nur für Schüler, sondern auch für Schulleitungen und Schulaufsichtsbehörden.
Denn das eigentliche Versagen liegt nicht in einem Coming-out – sondern in der stillschweigenden Duldung der Ausgrenzung danach.
Radio QueerLive
Die Redaktion