Heute ist Rosa von Praunheim in Berlin gestorben. Mit seinem Tod am 17. Dezember 2025 endet ein außergewöhnliches Künstlerleben, das wie kaum ein anderes Film, Politik und Aktivismus miteinander verschränkt hat. Deutschland verliert einen seiner radikalsten Regisseure, die queere Community einen ihrer frühesten und wirkungsmächtigsten Wegbereiter.
Geboren am 25. November 1942 in Riga als Holger Radtke, später Holger Bernhard Bruno Mischwitzky, machte er sich unter dem Namen Rosa von Praunheim selbst zur Provokation. Der gewählte Künstlername war bewusste Grenzüberschreitung, Ironie und Angriff zugleich – auf Konventionen, auf bürgerliche Moral, auf das jahrzehntelange Schweigen über queeres Leben. Von Praunheim verstand Kunst nie als Rückzugsort, sondern als gesellschaftliche Intervention.
Sein Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt aus dem Jahr 1971 markiert einen Einschnitt in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte. Kaum ein anderes Werk hat die politische Schwulen- und Lesbenbewegung so unmittelbar ausgelöst und geprägt. Der Film war Anklage, Aufruf und Befreiungsschlag zugleich – und machte von Praunheim zum öffentlichen Wegbereiter einer Bewegung, die sich Jahrzehnte später unter Begriffen wie LGBTQ und Queer weiterentwickelte.
Über mehr als fünf Jahrzehnte hinweg schuf er ein schier unüberschaubares Werk: über 150 Kurz- und Langfilme, Theaterarbeiten, Bücher und Lehrtätigkeit. Als Professor für Regie formte er Generationen von Filmschaffenden – nicht durch Anpassung, sondern durch Ermutigung zur Eigenwilligkeit. Sein Kino war Autorenfilm, Avantgarde, Agitation und Camp zugleich. Technische Perfektion war ihm weniger wichtig als Haltung. Wahrheit zeigte sich bei ihm schrill, subjektiv und radikal persönlich.
Thematisch blieb Rosa von Praunheim stets an den Rändern der Gesellschaft – dort, wo politische Dringlichkeit sichtbar wurde. Homosexualität, Transidentität, marginalisierte Lebensentwürfe, das Altern und die Würde „älterer vitaler Frauen“ prägten sein Werk. Figuren wie Lotti Huber, Evelyn Künneke oder Helene Schwarz verdanken ihm eine neue Sichtbarkeit. Ab Mitte der 1980er-Jahre rückte die AIDS-Krise in den Mittelpunkt seines Schaffens. Während viele schwiegen, dokumentierte, warnte und trauerte er – beharrlich und oft seiner Zeit voraus.
Nach der Streichung des § 175 im Jahr 1994 zog sich von Praunheim zunehmend aus der öffentlichen politischen Debatte zurück. Sein Rückzug bedeutete jedoch keinen Stillstand. Er arbeitete weiter als Chronist, Beobachter und unbequemer Mahner. International galt er längst als einer der wichtigsten Pioniere des queeren Kinos, als Grundlagenleger einer Filmsprache, die Identität nicht erklärt, sondern selbstbewusst behauptet.
Rosa von Praunheim hat Deutschland gezwungen hinzusehen – auf Lebensrealitäten, die lange verdrängt wurden. Er hat polarisiert, verletzt, befreit und Debatten ausgelöst. Seine Kunst war selten konsensfähig, aber immer notwendig. Mit seinem Tod endet ein zentrales Kapitel des Neuen Deutschen Films. Sein Einfluss jedoch bleibt: in queeren Bildern, politischer Kunst und der Selbstverständlichkeit von Sichtbarkeit.
Rosa von Praunheim war mehr als ein Regisseur. Er war ein kultureller Störenfried – und genau darin liegt sein Vermächtnis.
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Die Redaktion
