
Radio QueerLive – Eine Berliner Liebesgeschichte
Teil 1
„Zufall am Märchenbrunnen“
Berlin war groß. Für Philipp, der vor wenigen Wochen aus einem verschlafenen Ort in Brandenburg in die Hauptstadt gezogen war, war es manchmal zu groß. Die Menschen, die Geräusche, die U-Bahnlinien, die Szene. Alles war schneller, lauter, direkter.
Er hatte gehofft, in Berlin den Anschluss zu finden, den er auf dem Land nie hatte. Doch obwohl sein Grindr glühte und sein Profil bei GayRomeo mehrfach am Tag Nachrichten bekam, fühlte sich alles leer an. Sex auf Abruf – ja. Aber Gespräche, Berührung, Nähe? Fehlanzeige. Die Welt, nach der er sich sehnte, existierte in der Szene, in der er sich so fremd fühlte, scheinbar nicht.
An diesem Sonntagnachmittag war Philipp einfach losgelaufen. Er hatte sich in den Volkspark Friedrichshain treiben lassen, dort, wo Familien mit Kindern, Jogger und Verliebte aneinander vorbeiströmten. Und da war er – der Märchenbrunnen. Eine kleine Insel der Ruhe.
Er setzte sich auf eine Bank, sog die ruhige Luft ein, sah den Wasserfontänen zu. Dann hörte er eine Stimme – leise, charmant, vertraut.
„…Und wir sind wieder zurück bei Radio QueerLive, eurer queeren Stimme aus Berlin…“
Philipp drehte leicht den Kopf. Auf der Nachbarbank saß ein Mann, ungefähr Anfang 30, braungebrannt, schwarze Jeans, ein schwarzes Tanktop, das Handy in der Hand. Er schmunzelte leicht, während er dem Moderator zuhörte.
Tom.
Tom kannte sich in der Szene aus. Die Besenkammer, der Marienhof, die Busche, der Hafen – sein Wochenende war oft durchgetaktet.
Er liebte die Energie, die Körper, den Rausch. Aber Liebe? Die hatte sich bei ihm wie ein Clubbesuch angekündigt und war meist schneller wieder verschwunden als ein Gin Tonic leer war.
Dass er heute am Märchenbrunnen saß, war eher Zufall. Oder Schicksal.
Philipp hatte ein kleines Lächeln auf den Lippen, als er die Stimme aus Tom’s Handy erkannte. „Radio QueerLive?“, fragte er zögerlich.
Tom sah ihn an. „Ja, kennst du’s?“
„Klar. Ich hör’s fast jeden Abend zum Einschlafen. Der Moderator Jakob hat was Tröstliches.“
Tom nickte. „Das hat er wirklich.“
Es entstand eine dieser magischen Pausen. Keine, die peinlich war – sondern eine, in der sich zwei Blicke zum ersten Mal trafen und sich für einen Sekundenbruchteil länger hielten als notwendig.
Er begannen zu reden. Über Berlin, über Clubs, über Einsamkeit trotz Menschenmengen. Philipp erzählte von seiner kleinen Wohnung in Friedrichshain, von seinem Wunsch, Kommunikationswissenschaft zu studieren. Tom sprach über sein Leben als Freelancer in der Medienbranche, über Clubnächte, die sich immer öfter leer anfühlten.
Eine Stunde verging. Dann zwei. Sie lachten, beobachteten gemeinsam einen kleinen Jungen, der mit einem Papierschiff im Brunnen spielte, und redeten weiter.
Schließlich sah Philipp auf die Uhr.
„Mist. Ich muss los. Ich hab heute Abend noch einen Video-Call mit meinen Eltern. Meine Oma hat Geburtstag, sie wird 85, und wenn ich mich da nicht melde…“ Er lachte entschuldigend.
Tom nickte. „Versteh ich. Aber… du willst doch nicht einfach so verschwinden?“
Philipp hielt inne, dann zückte er sein Handy. „Willst du mir deine Nummer geben?“
Tom grinste. „Ich dachte, du fragst nie.“
Er diktierte sie langsam, deutlich, und Philipp speicherte sie mit einem leichten Herzklopfen. Unter Tom – Märchenbrunnen.
Sie standen beide auf, fast gleichzeitig, ein bisschen zögerlich. Es war kein Kuss, kein übertriebener Abschied. Nur ein stilles „Bis bald“, ein Lächeln, das noch in der Luft hing, während Philipp in Richtung Ausgang des Parks ging.
Tom sah ihm nach. Und zum ersten Mal seit Langem war da ein kleiner Funke. Keine Flamme. Aber ein Funke.
Vielleicht war das ja erst der Anfang.
Ende Teil 1
Fortsetzung folgt, morgen um 20.00 Uhr geht’s weiter
Gute Nacht