
Radio QueerLive – eine Berliner Liebesgeschichte
Teil 26: Die Brücke in den Osten
(Bevor wir heute mit der Geschichte starten ein Tipp, Radio QueerLive sendet nicht nur im Radio, wir haben in der Vergangenheit als erstes queeres Projekt, Lebensmittel sowie Hilfsgüter an ukrainische Shelter geliefert. Wie wir das erlebten, erfahrt ihr hier in einem Mehrteiler)
Sonntagabend, kurz nach 18 Uhr. Radio QueerLive unterbricht sein reguläres Programm. Frau Bond steht am Mikro, Jakob neben ihr. Die Stimmung ist angespannt. Es gibt Neuigkeiten – erschütternde. Jakob zittern die Hände.
„Wir haben heute eine Mail erhalten von queeren Menschen aus dem Süden der Ukraine“, beginnt Frau Bond mit belegter Stimme.
„Ein Hilferuf. Aus einem Shelter im Südosten der Ukraine. Für queere Menschen – junge, alte, trans, schwul, lesbisch – die auf der Flucht sind und hungern.“
Jakob ergänzt: „Sie haben nichts. Kein Essen. Keine Hygieneartikel. Keine Schlafsäcke. Aber sie haben Hoffnung. Und jetzt auch uns.“
Die Sendung wird zur Spendenaktion. Ein Notfallplan entsteht live im Studio. Ab Montag, 14 Uhr, soll gesammelt werden – vor dem Hellweg am Ostbahnhof.
Montag, 13:00 Uhr – Hellweg-Parkplatz.
Der erste LKW fährt gerade auf den Hof, als das Radiohandy klingelt. Frau Bond nimmt ab – es ist die Pressesprecherin des Park Inn Hotels am Alexanderplatz.
„Wir haben von Ihrer Aktion gehört. Wenn Sie Hilfe brauchen – Salon 6 steht Ihnen zur Verfügung. Ein großer Raum mit Strom, WLAN, Kaffee. Für Ihr Orga-Team.“
Frau Bond lacht erleichtert. „Sie sind großartig. Das Team brauch garantiert sehr viel Kaffee“
13:30 Uhr – Tom und Philipp kommen an. Beide tragen Kartons. Im Radio hatten sie den Aufruf gehört.
„Klar, dass wir was abgeben“, sagt Philipp.
Tom bleibt stehen, als er den LKW sieht. „Ihr braucht doch bestimmt auch Fahrer, oder? Ich hab ’nen Schein für den LKW.“
Jakob schaut auf. „Echt jetzt? Das wär genial!“
Philipp schaut ihn entgeistert an. „Du willst fahren? In die Ukraine?! Ich brauche dich bei mir“
Tom grinst. „Wenn nicht wir, wer dann? Und so hast du mal einen Tag ruhe vor mir“
Philipp zögert, dann atmet er tief durch. „ICH WILL KEINEN TAG RUHE VON DIR. Dann bleib ich hier und koordiniere. Ich will, dass du sicher ankommst.“
So ist es besiegelt: Tom meldet sich für das Fahrteam. Philipp wird Koordinator im Park-Inn-Orga-Team.

14:00 Uhr – Die Berliner*innen kommen.
Dutzende Menschen folgen dem Aufruf. Sie bringen Kisten, Schlafsäcke, Hygieneartikel. Auch eine Mitarbeiterin vom Hellweg am Ostbahnhof bringt spontan eine große Lieferung aus dem Lager mit. Eine Lichtenberger Frauen- und Lesbengruppe bringt Spielzeug für Kinder, Puppen und Teddys, für die Kinder in der Ukraine.
Eine Mitarbeiterin von einem Mediamarkt bringt Powerbanks die man auch als Taschenlampe nutzen kann.
16:00 Uhr – mobile Einkaufsteams starten.
Überall in Berlin ziehen Teams los – zu Discountern, Drogerien. Sie kaufen alles, was gebraucht wird. Auf der Orga-Liste steht alles: Haltbares Brot, Milch, Binden, Duschgel, Zahnbürsten, Konserven, Einwegrasierer.

Parallel im Park Inn Hotel.
Salon 6 wird zum Hauptquartier.
An der Wand hängt eine Karte mit Pins: Deutschland, Polen, Slowakei, Ukraine.
Philipp steht davor, telefoniert, markiert mögliche Grenzübergänge.
Gustav organisiert den Spendenfluss und Jakob schaut wie die riesige Kaffeemaschine funktioniert.
Schon klingelt das Telefon, Decathlon in Eiche ruft an.
18:00 Uhr – Decathlon-Filiale in Eiche.
Tom trifft Steven, Fabian und Marc. Alle 4 sollen sich auf der fahrt in die südliche EU am Steuer abwechseln.
Ankunft in Eiche. Die Mitarbeitenden vom Decathlon in Eiche haben über 80 Schlafsäcke bereitgelegt, Isomatten, Wasserkanister, Gaskocher mit Patronen und Decken. Alles wird in einen LKW verladen. Die Motoren starten.
Der Verkäufer schaut die Jungs an, „kommt gut hin und wieder zurück. Wenn ihr mehr braucht, euer Orgateam hat jetzt unsere Nummer“.
Tom der am Steuer sitzt hebt seinen Daumen, „so machen wir das“.
Um 18:45 Uhr beginnt ihre Reise – raus aus Berlin, Richtung Südosten.
21:30 Uhr – Irgendwo auf der Autobahn.
Der Konvoi steht auf einem Rastplatz, eine Stunde hinter Berlin.
Tom ruft an. „Riesiger Stau an der Grenze zur Tschechischen Republik. Mindestens fünf Stunden, hören wir gerade. Nichts geht mehr.“
Philipp runzelt die Stirn. „Wartet, ich prüfe Alternativen.“
Nur Minuten später ist der Plan neu: Statt durch Polen – mit Ziel: Slowakei.
Tom bedankte sich, „Schatz ich liebe dich“.
Beide legen auf und die Fahrt geht weiter.
Nachts – unterwegs durch die Hohe Tatra.
Die Route durch Ostpolen endet abrupt. Eine Baustelle blockiert den Zugang zur südlichen Grenze. Also geht es weiter – in die Berge.
Philipp informiert das Team: „Fahrt durch die Hohe Tatra. Es ist lang, kurvig, aber ihr schafft das.“
Tom antwortet: „Okay. Ab jetzt kein Empfang mehr. Wir melden uns, sobald wir durch sind.“
Stundenlang kein Kontakt. Die Funkstille macht das Orga-Team nervös. Im Park Inn laufen die Telefone heiß, doch niemand erreicht den Konvoi.
Und dann – irgendwann gegen vier Uhr morgens – piept ein Handy. Tom schickte via WhatsApp ein Foto vom Sonnenaufgang in der Hohen Tatra und rief gleich an. „Wir sind durch. Alles in Ordnung. Weiter Richtung Grenze.“
Ein kollektives Aufatmen. Jakob umarmt Gustav. Philipp sinkt kurz auf den Stuhl, schließt die Augen.
„Sie sind durch“, sagt er leise. „Und das ist erst der Anfang.“
Ende, Teil 26.
Morgen geht’s weiter – um 20 Uhr, hier bei Radio QueerLive.