Familie ja, heiraten nein

Indien: Gleichgeschlechtliche Paare dürfen Familien gründen – aber nicht heiraten.

In einem Land, in dem gleichgeschlechtliche Ehen weiterhin verboten sind, markiert ein aktuelles Urteil des Obergerichts von Madras einen bemerkenswerten Fortschritt für queere Rechte in Indien.
Das Gericht hat entschieden: Auch wenn gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe rechtlich verwehrt bleibt, dürfen sie dennoch eine Familie gründen. Es ist ein juristischer und gesellschaftlicher Meilenstein – entstanden aus einem tragischen Familiendrama, das letztlich in einem Akt der Gerechtigkeit mündete.

Ein Familiendrama mit Happy End

Auslöser für das Urteil war der Fall einer 25-jährigen Frau, die von ihrer eigenen Familie festgehalten wurde, nachdem sie sich zu ihrer lesbischen Beziehung bekannt hatte. Die Eltern verweigerten nicht nur jede Akzeptanz, sondern setzten sogar staatliche Machtmittel gegen die junge Frau ein. Unterstützt von der Polizei, wurde sie gezwungen, zu ihrer Familie zurückzukehren – gegen ihren erklärten Willen.

Doch ihre Partnerin kämpfte

Sie verklagte die Familie und suchte gerichtlichen Schutz.
Mit Erfolg.
Das Obergericht von Madras stellte sich in seltener Deutlichkeit auf die Seite des Paares – und stärkte damit nicht nur das individuelle Selbstbestimmungsrecht, sondern auch die Rechte queerer Menschen in Indien insgesamt.

Deutliche Worte der Richter

Die Richter machten in ihrer Urteilsbegründung klar, dass die Weigerung des indischen Obersten Gerichts, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zuzulassen, nicht bedeute, dass diese kein Recht auf Familie hätten. Familie sei kein Privileg der Ehe allein – insbesondere nicht in einem Rechtsstaat, der sich dem Schutz der individuellen Freiheit verpflichtet sehe. Sie betonten, dass bereits bestehende Gesetze queere Lebensgemeinschaften schützen und anerkennen.

Gleichzeitig kritisierte das Gericht scharf das Verhalten der Familie und der Polizei. Die Mutter der jungen Frau habe sich über das Recht ihrer Tochter, selbst über ihr Leben zu entscheiden, hinweggesetzt – ein klarer Verstoß gegen die Grundrechte. Noch schwerer wiegt der Vorwurf an die Polizei, die sich auf die Seite der Familie schlug, statt das Opfer zu schützen. Künftig müsse die Polizei die Frau und ihre Partnerin vor der Familie schützen, so das Gericht.

Ein Urteil mit Signalwirkung

Auch wenn es sich nur um ein Urteil eines Obergerichts handelt, ist dessen Signalwirkung nicht zu unterschätzen. In einem Land, in dem gesellschaftliche Konventionen oft schwerer wiegen als gesetzliche Regelungen, sendet dieses Urteil eine klare Botschaft: Die sexuelle Orientierung darf kein Grund sein, Menschenrechte zu beschneiden – weder durch die Familie noch durch den Staat.

Besonders bemerkenswert ist die empathische Haltung der Richter gegenüber der Partnerin der jungen Frau.
Dass sie ihre Beziehung im Gerichtsverfahren nur als „gute Freundschaft“ bezeichnete, sei nachvollziehbar angesichts der konservativen gesellschaftlichen Realität. Doch auch zwischen den Zeilen wisse das Gericht zu lesen – und sendet ein starkes Zeichen der Anerkennung und des Schutzes für queere Menschen.

Zwischen Fortschritt und Rückschritt

Das Urteil des Obergerichts von Madras reiht sich ein in eine wachsende Zahl kleiner juristischer Siege für die LGBTQ+-Gemeinschaft in Indien. Gleichzeitig bleibt die grundlegende Ungleichheit bestehen: Gleichgeschlechtliche Paare dürfen keine Ehe eingehen – und damit fehlt ihnen der volle rechtliche Schutz, den heterosexuelle Ehepaare genießen.

Doch Urteile wie dieses zeigen: Der Wandel ist möglich. Nicht abrupt, nicht flächendeckend – aber mit jedem Fall, der eine Lücke in das starre Korsett von Tradition und Vorurteil schlägt, wird die Hoffnung größer. Hoffnung auf ein Indien, in dem Liebe nicht erklärt oder versteckt werden muss, sondern einfach sein darf.

Radio QueerLive
Die Redaktion