
Berliner Liebesgeschichte
Teil 21
Anna R im Wohnzimmer-Studio
(Anna R gab Radio QueerLive insgesamt 5 Interviews. Ihr zur Ehre wollen wir ihr in dieser Geschichte gedenken.)
Der Donnerstagnachmittag war einer dieser fast perfekten Frühsommertage in Berlin – warm, aber nicht zu heiß, die Fenster standen offen, und irgendwo spielte jemand Straßenklavier. Doch im Wohnzimmer von Tom und Philipp herrschte leichte Panik.
„Kannst du bitte nochmal über das Sideboard wischen?“, fragte Philipp und schob Tom ein Mikrofasertuch in die Hand.
„Ich hab das vor zwanzig Minuten schon gemacht.“
„Ja, und? Seitdem hat Willi da draufgezüngelt. Das zählt nicht als sauber.“
Tom verdrehte die Augen, aber wischte. Willi, der blaue Baumwaran, räkelte sich unter seiner Lampe und sah dem Treiben mit seiner gewohnten Mischung aus Desinteresse und leiser Überlegenheit zu.
Gustav stand mitten im Raum, hielt ein iPad in der Hand und sprach wie ein Produktionsleiter beim ESC: „Anna R. ist auf dem Weg. Sie kommt mit einer Freundin, fährt direkt mit dem Taxi her. Bitte keine Panik, aber sie hat gesagt, sie freut sich total auf das Gespräch. Und sie liebt Wohnzimmer.“
„WAS?!“, rief Philipp, „Sie… liebt Wohnzimmer? Oh Gott, Tom, wir müssen den Bücherstapel auf dem Beistelltisch ordnen!“
„Philipp, das ist ein Bücherstapel, kein Altar.“
„Wenn ANNA R. kommt, IST ES EIN ALTAR!“
Tom seufzte. „Ich wusste nicht, dass du sie so vergötterst.“
„Natürlich vergöttere ich sie. Rosenstolz war mein Coming-out-Soundtrack. Und ‚Weißt Du, Wer Ich Bin‘ hab ich drei Wochen lang in Dauerschleife gehört, als ich mich in dich verliebt hab, du Ignorant.“
Tom hielt inne. Dann lächelte er leise. „Okay. Dann kriegt der Bücherstapel jetzt ein Kerzchen.“
Um 17:43 Uhr klingelte es.
Es war, als hätte jemand in der Luft die Frequenz geändert. Plötzlich war alles still. Philipp warf noch schnell ein Kissen zurecht, Tom stellte sich aufrecht hin, Gustav räusperte sich. Willi züngelte.
Dann ging die Tür auf – und sie war da. Anna R. trat ein, mit einem Lächeln, das sofort etwas im Raum veränderte. Sie trug eine schwarze Jeans, ein weißes Shirt, Sonnenbrille im Haar und eine fast jugendliche Energie. Neben ihr eine Freundin, still, lächelnd.
„Wow“, sagte Anna, als sie das Wohnzimmer sah. „Das ist das gemütlichste Studio, in dem ich je war.“

Philipp brachte kein Wort heraus. Tom schob ihn leicht an.
„Wir sind riesige Fans“, sagte er. „Schon seit… ewig.“Anna lachte. „Dann fühl ich mich hier ja gleich doppelt willkommen.“
Die Technik war aufgebaut, die Mikrofone standen, und während draußen langsam die Sonne hinter die Häuser kroch, saßen alle beisammen. Jakob führte das Interview, Gustav machte Handzeichen, Frau Bond servierte still Tee.
„Bei Gleis 8 war ‚Engel‘ eines der ersten Lieder, bei dem ich dachte – okay, das ist meins“, sagte Anna. „Es geht um Verlust. Um Liebe. Und darum, dass man nie genau weiß, wer da noch über einen wacht.“
Philipp schluckte. In dem Moment bewegte sich Willi. Langsam, wie in Zeitlupe, kroch er aus seinem Terrarium, streckte sich auf seinem Ast und züngelte Richtung Lautsprecher – genau in dem Moment, als die ersten Takte von „Engel“ leise eingespielt wurden.
Alle hielten den Atem an.
„Das ist… surreal“, murmelte Tom.
Anna sah zu Willi. „Der hat Geschmack.“
Später – nach „Weißt Du, Wer Ich Bin“, nach einem warmen Gespräch über Identität, Veränderung, das Älterwerden in der Öffentlichkeit – saßen sie einfach noch ein paar Minuten zusammen. Keine Kamera lief mehr, Mikrofone waren aus und Phillip legte sein Handy weg. Nur Tee dampfte leise.
„Ich find’s schön hier“, sagte Anna. „Ehrlich. Es fühlt sich nach einem Zuhause an. Und ihr beide seid ein total süßes Paar, süß wie alle meine Fans.“
Philipp konnte nur nicken. Er hatte Tränen in den Augen, aber das war okay.
Tom legte ihm eine Hand auf den Rücken.
Willi rührte sich nicht mehr. Er lag still, warm, zufrieden unter seiner Lampe.
Ende Teil 20. Morgen geht’s weiter um 20.00 Uhr.
(Es ist so traurig Anna das wir deine Stimme nur noch in deinen Liedern hören können. Danke für 5 Interviews bei Radio QueerLive.)