
Radio QueerLive – Eine Berliner Liebesgeschichte
Teil 31
Grindr, Gier und Grenzen
Es war ein gewöhnlicher Sonntagvormittag, als Tom bei seinem Kaffee den Kopf schüttelte. „Ich versteh einfach nicht, wie Leute heute noch denken, sie könnten normal daten. Alles läuft doch nur noch über Apps wie Grindr. Da findet man eher einen Parkplatz in Kreuzberg als ’nen anständigen Typen.“
Philipp blinzelte müde über sein Müsli hinweg. „Grindr… das ist doch dieses GPS-Ding, oder?“
Tom grinste schief. „Du meinst: Wer ist gerade 300 Meter entfernt und will sofort Sex. Willkommen in der Wirklichkeit.“
„Na, da scheint ja richtig Romantik drin zu stecken“, entgegnete Philipp spöttisch. Doch irgendetwas daran machte ihn neugierig. Die Vorstellung, einfach mit jemand Fremdem zu schreiben – völlig unverbindlich – hatte einen gewissen Reiz. Er sagte nichts weiter.
Am Nachmittag, als Tom kurz einkaufen ging, lud sich Philipp die App herunter. Kaum war das Profil mit einem eher schlichten Selfie eingerichtet, begann es zu blinken. Nachrichten. Bilder. Manchmal waren es einfache Sätze wie „Hi, du bist süß“. Meist aber nur Fotos. Von Oberkörpern, Unterkörpern – und allem dazwischen.
Ist das das neue Kennenlernen?, fragte sich Philipp. Er fühlte sich unwohl und doch merkwürdig fasziniert. Einer der Profile war anders: „Sven, 26, 1,80 m, schlank, sportlich, sensibel“. Die Bilder waren unaufgeregt, der Ton angenehm.
Sie schrieben ein paar Tage. Dann schlug Sven ein Treffen vor. „Ein Kaffee bei mir, ganz entspannt“, schrieb er. Philipp zögerte, aber er sagte zu.
Am frühen Abend stieg er aus der Tram. Die Adresse lag in einem ruhigen Kiez. Er war nervös. Nicht verliebt, nur… gespannt.
Als die Tür aufging, gefror ihm das Lächeln. Vor ihm stand ein Mann, etwa Ende fünfzig, glatzköpfig, schwitzend.
„Du… du bist nicht Sven.“
„Ach komm, ich hab halt paar Jahre abgezogen. Aber hey, du gefällst mir trotzdem. Ehrlich. Komm rein.“
„Ich dachte, wir treffen uns draußen.“
„Drinnen ist gemütlicher. Ich hab ’ne kalte Cola. Oder ein Bier. Und du brauchst dich auch nicht gleich auszuziehen, keine Angst.“
Philipp wich instinktiv zurück. Doch der Mann griff nach seinem Unterarm.
„Lass mich bitte los.“
„Du bist wie die anderen. Erst heiß machen, dann kalte Füße kriegen. Was dachtest du denn, was Grindr ist? Tinder für Kuscheltiere?“
„Ich geh jetzt.“
Der Griff wurde fester. „Du bleibst jetzt. Oder willst du, dass ich laut werde?“
Philipp riss sich los. „Fass mich nie wieder an!“ Er stolperte rückwärts die Treppe hinab, rannte, ohne sich umzusehen, und hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten.
Zitternd stand er eine halbe Stunde später in der Küche. Tom kam gerade vom Späti zurück und sah ihn mit finsterer Stirn.
„Wo warst du?“
Philipp antwortete nicht gleich. Dann platzte es aus ihm heraus. Alles. Die App. Sven. Die Lüge. Das Treffen. Der Übergriff.

Tom ließ die Tüte mit dem Einkauf auf die Arbeitsplatte fallen. Seine Stimme war leise, aber schneidend. „Wenn du unsere Beziehung nicht mehr willst, musst du’s nur sagen. Dann stell ich mich drauf ein.“
Philipp schüttelte den Kopf, die Tränen liefen längst. „Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Es war… Neugier. Dummheit. Und ich wollte wissen, ob ich was verpasse. Aber alles, was ich gesehen habe, hat mir gezeigt, was ich an dir hab.“
Tom sah ihn lange an, sagte erst nichts. Dann trat er näher, umarmte ihn fest.
Doch auch wenn Tom ihn schließlich in die Arme genommen hatte – etwas hatte sich verändert.
Nicht laut, nicht mit Vorwürfen, aber in der Art, wie Tom sich bewegte, wie er schwieg, wie er abends im Bett lag, ohne Philipp automatisch an sich zu ziehen. Da war eine kleine Distanz entstanden, leise und scharf wie Glas.
Philipp bemerkte es, seinen Fehler. Und es ließ ihm keine Ruhe.
Zwei Tage später hatte er einen Plan.
Als Tom abends von der Arbeit kam, war die Wohnung aufgeräumt wie nie. Auf dem Tisch brannten Teelichter in kleinen Gläsern, und der Geruch von frischem Basilikum lag in der Luft. Im Wohnzimmer stand ein alter Diaprojektor, den Philipp extra von einem Kollegen geliehen hatte, und eine weiße Decke war über die Bücherwand gespannt.
„Was soll das?“, fragte Tom leise, verwundert.
Philipp lächelte unsicher, drückte auf den Schalter – und das Bild sprang an. Alte Fotos, die sie gemeinsam gemacht hatten: im Studio, beim Wandern mit Willy im Rucksack, auf dem Schiff. lachend in der Küche mit Mehl im Gesicht. Daneben Textfolien:
„Ich liebe dich.“
„Ich war dumm.“
„Ich hab’s gemerkt – zu spät. Aber nicht zu spät, um es besser zu machen.“
Tom sagte lange nichts.
Dann trat er langsam vor, nahm Philipps Gesicht in beide Hände – und diesmal war es er, der den ersten Kuss gab. Langsam, tastend, versöhnend.

„Du bist so ein Idiot“, murmelte Tom.
„Aber du bist meiner. Lass uns ins Bett gehen. Ich zeige dir wie man einen bösen Jungen bestraft“. Tom hatte dabei so etwas Geiles in der Stimme.
Ende Teil 31.
Morgen geht’s weiter um 20.00 Uhr.