
Chinas Verhaftungen von Erotikautorinnen erschüttern die Kulturszene
In einer beunruhigenden Eskalation staatlicher Zensurpolitik hat die chinesische Polizei Dutzende junger Autorinnen festgenommen, die homoerotische Literatur im sogenannten „Boys’ Love“-Genre veröffentlicht hatten. Die Werke, oft romantische oder erotische Geschichten zwischen männlichen Protagonisten, erfreuen sich besonders unter weiblichen Leserinnen großer Beliebtheit – nicht nur in China, sondern weltweit.
Die Verhaftungen erfolgten im Zuge einer breit angelegten Kampagne gegen „obszöne Inhalte“ im Internet. Doch Beobachter vermuten dahinter mehr als bloßen Jugendschutz: ein ideologisch motivierter Feldzug gegen queere Ausdrucksformen, gegen weibliche Sexualität – und letztlich gegen jede Form kultureller Autonomie.
Zwischen Fantasie und Freiheitsentzug
Die betroffenen Autorinnen – meist zwischen 20 und 30 Jahre alt – hatten ihre Geschichten auf der Plattform Haitang Literature City veröffentlicht, die über ein Bezahlsystem verfügte und in China nur via VPN erreichbar ist.
Sie wurden wohl auf Basis eines Gesetzes aus dem Jahr 2004 festgenommen, das „die Verbreitung obszöner Materialien“ unter Strafe stellt. Viele der Betroffenen hatten mit ihren Texten nur geringe Einnahmen erzielt – teilweise weniger als 1.000 Euro.
Trotzdem drohen ihnen empfindliche Strafen, darunter mehrjährige Haftstrafen. In sozialen Netzwerken sorgt das Vorgehen für Empörung. Kritiker sehen eine klare Ungleichbehandlung: „Männer schreiben Erotik und werden gefeiert – Frauen gehen dafür ins Gefängnis“, heißt es in einem viralen Kommentar. Die Verhaftungen werfen ein Schlaglicht auf die selektive Anwendung von Moralgesetzen in China – und deren patriarchale Schlagseite.
„Danmei“ unter Beschuss: Warum die Zensur gezielt queere Themen trifft
Das „Boys’ Love“-Genre – in China „danmei“ genannt – stammt ursprünglich aus Japan und wurde in den letzten Jahren auch in China zu einem Massenphänomen. Mit millionenstarken Fan-Communities und erfolgreicher Vermarktung durch Serien, Mangas und Romane war „danmei“ längst ein lukratives Popkultur-Segment. Doch genau diese Sichtbarkeit scheint nun zum Verhängnis geworden zu sein.
Seit 2021 verschärft China seine Zensur digitaler Inhalte.
Was einst als Kampf gegen Pornografie begann, ist längst ein ideologisch motivierter „Sauberkeitsfeldzug“, der auch queere Inhalte als „abnorm“ klassifiziert. Dabei geht es nicht nur um Sexualität, sondern um gesellschaftliche Kontrolle: Wer abweichende Lebens- und Liebensformen literarisch verhandelt, wird zum politischen Risiko erklärt.
Die Botschaft ist klar: Schweigen soll Sicherheit bedeuten
Die aktuelle Welle von Festnahmen hat eine klare Funktion: Abschreckung. Selbst kleine Autorinnen mit geringer Reichweite werden kriminalisiert. Die Botschaft an die Kultur- und Literaturszene lautet: Keine Form von Intimität, queerer Identität oder weiblicher Sexualität ist vor staatlicher Intervention sicher – selbst wenn sie nur auf fiktiven Plattformen stattfindet.
Diese Repression betrifft nicht nur die Autorinnen. Sie trifft eine ganze Generation junger Menschen, die sich über Literatur, Kunst oder Fan-Fiction selbst entdecken, austauschen und entfalten wollen. Für sie bedeutet die Kriminalisierung ihrer Geschichten auch die Kriminalisierung ihrer Wünsche.
Ein gesellschaftlicher Rückschritt
Was sich derzeit in China abspielt, ist mehr als ein Zensurfall. Es ist der Ausdruck einer Kulturpolitik, die Freiheit nicht als Wert, sondern als Bedrohung versteht. Eine Politik, die Frauen und queere Menschen durch rechtliche Grauzonen zum Schweigen bringen will – im Namen einer vermeintlichen Moral, die in Wirklichkeit patriarchal, repressiv und autoritär ist.
Wenn erotische Literatur zur Staatsaffäre wird, dann steht nicht Scham, sondern Angst im Mittelpunkt. Und wer Angst hat, schreibt nicht mehr – oder nur noch das, was genehm ist.
Zusammengefasst
Die Verhaftung junger Erotikautorinnen in China ist ein alarmierender Angriff auf künstlerische Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung und die Rechte von Frauen und queeren Menschen.
Es ist ein Mahnzeichen für alle, die glauben, dass Fantasie, Literatur und Liebe keine politischen Akte sind. In autoritären Systemen sind sie es immer.
Radio QueerLive
News-Redaktion