
Radio QueerLive – Eine Berliner Liebesgeschichte
Teil 61:
„Das Gründerzeitmuseum“
Tom war auf Dienstreise. Eine ganze Woche, und Philipp fühlte sich allein in der Wohnung. Also hockte er bei Frau Bond im Radiostudio.
Während sie an ihrer Sendung feilte, stöberte Philipp im Archiv. Zwischen alten Beiträgen blieb er an einer Kiste voller vergilbter Manuskripte hängen.
„Gründerzeitmuseum Mahlsdorf…“, murmelte er und las neugierig weiter.
Von der Geschichte des Hauses. Von der Sammlung. Und von der Mulackritze, einer alten Berliner Gaykneipe, die Charlotte von Mahlsdorf in den 1960er-Jahren aus dem Scheunenviertel gerettet hatte.
Philipp strahlte. „Das ist ja irre spannend!“ Er stürmte zu Frau Bond ins Studio.
„Frau Bond, hör mal! Ich hab grad gelesen – im Keller vom Gründerzeitmuseum gibt’s die älteste Gaykneipe Berlins. Stell dir vor, die Mulackritze! Das muss ich unbedingt sehen!“
Frau Bond hob eine Augenbraue. „Philipp, das ist lange her. Die Zeiten sind vorbei. Heute findest du höchstens Staub und Rentnerführungen.“
„Aber Frau Bond!“ Philipp stemmte die Hände in die Hüften. „Du hast mich auch damals zurück in die alte Busche geschubst. Da kannst du mir nicht erzählen, dass das hier nicht auch geht!“
Sie schaute ihn streng an, ihre Augen blitzten.
„Kind… du nervst.“
Dann hob sie einen Arm und knallte ihm mit der Handfläche gegen die Stirn.
⌚
Zeitsprung
Philipp riss die Augen auf. Vor ihm: knarzende Dielen, schwere Gardinen, antike Uhren an den Wänden.
„Wo… wo bin ich?“
„Na im Gründerzeitmuseum, Dummerchen.“ Frau Bond stand neben ihm, als sei es das Normalste der Welt.
In diesem Moment betrat Charlotte von Mahlsdorf den Flur.
„Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, zur heutigen Führung. Niemand weiß, ob im nächsten Jahr die Computer noch funktionieren, wenn die Jahrtausendwende kommt… aber keine Sorge, meine alten Uhren werden auch das neue Jahrtausend einläuten!“
Philipp blinzelte. „Frau Bond… das war grad von der Jahrtausendwende. Heißt das, wir sind…?“
„Natürlich. Du wolltest doch Geschichte. Bitteschön.“
„Oh Gott.“ Philipp schnappte nach Luft. „Das ist eine Zeitreise!“
Frau Bond grinste nur und schubste ihn ohne Vorwarnung durch den Türrahmen des Hochzeitszimmers.
⌚
Zeitsprung

Lärm. Schreie. Philipp taumelte in den Garten des Museums. Überall rannten Menschen, manche hielten sich blutende Köpfe. Andere schrien, ein Mob von rechten Schlägern stürmte über das Gelände.
„Was… was passiert hier?“ Philipp war bleich.
Frau Bond packte seine Hand. „Überfall. Lichtenberger Rechte. Sie haben Charlottes Herbstfest gestürmt.“
„Ich will hier weg!“
„Dann komm.“ Frau Bond zog ihn zur nächsten Tür.
„Wenn ich sage, du läufst – dann läufst du.“
Sie riss den Rahmen auf und schob ihn hindurch.
⌚
Zeitsprung
Philipp stand plötzlich in einem prunkvollen Zimmer mit grüner Tapete. Willi hockte auf einem antiken Schrank und fauchte leise.
„Willi?! Wie bist du… ach, vergiss es.“
Gäste strömten herein, in grellen 80er-Jahre-Klamotten und mit wilden Dauerwellen.
Dann erschien eine jüngere Charlotte von Mahlsdorf, strahlend, voller Energie.
„Willkommen im Grünen Zimmer!“, sagte sie.
Philipp grinste. „Frau Bond, das ist fantastisch!“
Da fiel ihm ein Mann im grauen Anzug auf, der jede Uhr, jedes Möbelstück prüfend musterte.
„Der da… der guckt komisch.“
Frau Bond verschränkte die Arme. „Man könnte meinen, die Staatssicherheit taxiert hier den Wert der Antiquitäten.“
Der Mann erstarrte, fühlte sich ertappt.
Charlotte bemerkte es, verschwand kurz, kam mit einer schweren gusseisernen Bratpfanne zurück.
„Meine Damen und Herren, dies ist ein seltenes Stück aus dem Jahr 1876 – ideal zum Braten von…“
Zack! Sie schlug dem Stasi-Mann mit voller Wucht gegen den Kopf.

Der flüchtete schreiend aus dem Raum.
„Danke, meine Liebe“, sagte Charlotte ruhig zu Frau Bond.
Philipp stand mit offenem Mund daneben. „Das war… das war ja Wahnsinn!“
⌚
Später
Charlotte verließ mit den Gästen den Raum. Philipp starrte Frau Bond an.
„Woher wusstest du das?“
„Die Stasi wollte immer an Charlottes Sammlung. Sie hat sich eben zu helfen gewusst.“
Dann legte Frau Bond den Kopf schief. „Also, Philipp… bist du für dein größtes Abenteuer bereit?“
„Ja!“, rief er sofort, ohne nachzudenken.
Frau Bond trat an einen alten Kleiderschrank, öffnete die knarrende Tür und zog Kleidungsstücke hervor: ein Hemd mit Stehkragen, eine Weste, alte Stiefel.
„Los, anziehen.“
Philipp starrte die Sachen an. „Das ist… wie vor 100 Jahren.“
„Genau darum.“
Zögerlich zog er die Kleidung an, und Frau Bond nickte zufrieden.
Dann nahm sie ihn an die Hand und führte ihn eine steile Treppe hinunter, in den Keller.

Vor ihnen eine uralte Tür aus dunklem Holz, schwer wie ein Grabstein.
Philipps Knie wurden weich. „Frau Bond… ich hab Angst.“
„Wenn ich schreie ‚Lauf‘, dann rennst du sofort zurück durch diese Tür. Versprochen?“
„V… versprochen.“
Frau Bond legte die Hand auf die alte Klinke.
„Gut. Dann halt dich fest. Dahinter beginnt das Feuer.“
Philipp spürte, wie sein Herz raste.
Er atmete tief durch.
Und die Tür begann sich knarrend zu öffnen.
Ende Teil 61
Was hinter der Kellertür lauert, erfahren wir Morgen um 20 Uhr