
Radio QueerLive – Eine Berliner Liebesgeschichte
Teil 74:
Die Schwiegermütter und die Maske des Grauens
Sonntag, 11 Uhr.
Philipp und Tom lagen noch im Bett, als es Sturm klingelte.
„Wer klingelt denn um diese Uhrzeit?“, murrte Tom, griff nach der Decke und rollte sich weg.
Philipp stand auf, öffnete die Tür – und sofort drang Geschrei ins Treppenhaus.
„Ihr seid schuld!“ – „Ja, genau, ihr beiden!“
Vor ihm standen zwei Frauen, wild gestikulierend. Bevor Philipp auch nur „Guten Morgen“ sagen konnte, hatten sie Lukas und Jonas in die Wohnung geschoben und marschierten durch bis in die Küche.
„Na super“, murmelte Tom. „Sonntagsgäste im Aggro-Modus.“
In der Küche ging es sofort los.
„Mein Sohn war immer ein ordentlicher Junge!“, schrie Frau A.
„Und meiner nicht etwa?“, fauchte Frau B. zurück.
„Meiner war nie so… so… verdorben!“
„Ach, und meiner schon? Er hat nur wegen deinem Bengel damit angefangen!“

Lukas hob zögerlich die Hand: „Mama, ich…“
„Sei still!“, fuhr sie ihn an.
Jonas versuchte: „Aber das stimmt doch gar nicht, ich…“
„Halt dich raus!“, kreischte seine Mutter. „Du bist der Auslöser von allem!“
Philipp setzte an: „Also, wenn wir mal…“
„Nein!“, brüllten beide Mütter gleichzeitig. „Ihr habt sie verführt!“
Tom seufzte. „Das wird ein langer Tag.“
Philipp griff sein Handy und rief Frau Bond an.
„Frau Bond. Wer ruft mich Sonntagnacht an?.“
„Katastrophe! Zwei Mütter, 3. bis 8. Weltkrieg in unserer Küche. Wir gehen unter!“
„Ich trage gerade meine Maske“, knurrte sie.
„Dann komm MIT Maske! Egal! Bitte, schnell!“
Die Maske des Grauens
Zehn Minuten später klingelte es. Tom öffnete – und stolperte zurück.
„Heilige Scheiße!“
Vor ihm stand Frau Bond mit knallgrüner Antifalten-Maske, die Haare streng zurückgeklemmt.
„Zombie-Apokalypse?“
„Nein“, sagte sie trocken, „Bond-Apokalypse.“ Sie marschierte durch, als gehöre die Wohnung ihr. Sie ging direkt in Richtung Krach.

In der Küche tobte das Inferno.
„Ihr Sohn ist eine Schande!“
„Und Ihrer ist ein schlechter Einfluss!“
„Er war doch nie so, bis er mit IHREM zusammenhing!“
„Das behaupten Sie nur, weil Sie sich schämen!“
Lukas verzweifelt: „Aber Mama, ich liebe Jonas doch!“
„Lukas, kein Wort!“
Jonas flehte: „Mama, hör mir doch zu, ich—“
„Schweig! Ich will nichts davon hören!“
Frau Bond blieb im Türrahmen stehen, verschränkte die Arme – und dann brüllte sie:
„RUHE, verdammt nochmal! Sonst platzt mir meine Maske – und die Pampe klebt Ihnen allen an der Wand!“
Stille. Nur Willi zischte im Terrarium.
Würde Willi Popcorn kennen, er hätte es an dem Tag verlangt.
Frau Bond trat langsam vor.
„So. Und jetzt reden wir mal vernünftig. Sie haben tolle Söhne, oder?“
Beide Mütter: „Ja.“
„Sie lieben Ihre Söhne?“ – „Natürlich!“
„Und Sie möchten, dass Ihre Söhne geliebt werden?“ – „Selbstverständlich.“
„Na, warum zum Teufel spielt es dann eine Rolle, WEN sie lieben?“
Die Mütter starrten sie an. Zögerten. Dann wollte die eine protestieren:
„Aber… aber… die Leute reden doch—“
„Sollen die Leute reden, bis ihnen die Zunge abfällt!“, donnerte Frau Bond. „Das Leben Ihrer Kinder ist nicht Sache der Nachbarn!“
Lukas flüsterte leise: „Danke…“
Jonas wollte etwas sagen – doch diesmal schob Philipp ihm beruhigend eine Tasse Tee zu.
Frau Bond setzte nach, ihre Stimme fest:
„Homosexualität ist nicht ansteckend. Niemand steckt jemanden an, so funktioniert das nicht. Das steckt längst in ihnen – von Geburt an. Und wissen Sie, was noch? Ihre Jungs sind mutig. Mutiger, als viele Erwachsene jemals waren. Seien Sie froh, dass sie ehrlich sind. Seien Sie froh, dass sie glücklich sind!“
Die Mütter sahen sich an. Erst starr. Dann bröckelten die Gesichter. Eine begann zu weinen. Die andere griff nach ihrer Hand. Und schließlich lagen sie sich in den Armen.
„Vielleicht… vielleicht haben Sie recht.“
„Er ist mein Sohn. Ich liebe ihn. Ob mit Freundin oder Freund.“
❤️
Lukas räusperte sich vorsichtig, während seine Mutter sich gerade einen Schluck Kaffee einschenken wollte. „Mama… darf Jonas nächsten Samstag wieder bei mir schlafen?“ fragte er leise, aber bestimmt.
Seine Mutter legte die Tasse ab, sah ihn ernst an – und dann lächelte sie warm. „Natürlich darf er das, Lukas.“

Noch bevor Lukas und Jonas aufatmen konnten, knallte die Mutter von Jonas ihre Handtasche auf den Tisch. „Auf gar keinen Fall! Mein Sohn und Lukas schlafen nicht schon wieder hier. Wenn, dann bei uns – in seinem Zimmer, wo ich ihn im Blick habe!“
„Ach, hören Sie doch auf,“ fauchte Lukas’ Mutter zurück. „Sie sind doch gar nicht so tolerant, wie Sie immer tun. Ich bin diejenige, die ihren Sohn mit offenen Armen aufgenommen hat.“
Jonas’ Mutter verschränkte die Arme. „Tolerant? Sie? Sie haben keine Ahnung, was das überhaupt bedeutet!“
Schon wieder drohte das Geschrei zu eskalieren bei den zwei Helikopter-Horror- Müttern. Lukas und Jonas sahen sich hilflos an, Philipp rieb sich verzweifelt die Stirn, Tom schlug die Hände vors Gesicht. Willi fand das Geschrei spannend.
Da stand Frau Bond plötzlich auf, ohne ein Wort zu sagen, verschwand kurz in einem Nebenraum und kam mit einem Blatt Papier und einem Stift zurück. Mit energischen Strichen schrieb sie ein paar Zeilen, während alle Blicke wie gebannt auf sie gerichtet waren.
„Was… was macht sie denn jetzt?“ flüsterte Jonas.
Frau Bond drehte sich um, knallte den Zettel mitten auf den Tisch und hielt den beiden Müttern den Stift hin. „Hier – unterschreiben. Das ist ein Mutti-Zettel. Jonas und Lukas schlafen von Freitag bis Sonntag im Gästezimmer von Radio QueerLive im Sender. Da haben sie ihre Ruhe – vor ihnen. Wenn sie nicht unterschreiben, werden Ihnen ihre Söhne entgleiten. Wollen sie das?“
Es entstand eine kurze, spannungsgeladene Stille. Dann griff erst Lukas’ Mutter, dann Jonas’ Mutter nach dem Stift und unterschrieben seufzend.
„Na gut,“ murmelten sie fast gleichzeitig, „damit können wir leben. Es sind ja unsere Söhne.“
Philipp und Tom atmeten auf.
Lukas und Jonas saßen dicht nebeneinander, ihre Hände trafen sich vorsichtig unter dem Tisch.
Und Willi streckte die Zunge raus – tsik-tsik – als würde er applaudieren.
Frau Bond riss sich die Maske vom Gesicht, schnappte sich eine Kaffeetasse und seufzte:
„So. Falten bekämpft, zwei Mütter erleuchtet. Reicht für einen Sonntagvormittag. Wo ist der Kuchen?“
Ende Teil 74
Montag geht’s weiter – um 20:00 Uhr.
Euch ein schönes Wochenende.
Radio QueerLive