❤️🧡💛 Philipp & Tom 💚💙💜 (76)

Radio QueerLive – Eine Berliner Liebesgeschichte

Folge 76

„Gefangen in der Vergangenheit“ (Teil 1)

Es war ein ganz gewöhnlicher Sonntagmittag in Prenzlauer Berg. Philipp lümmelte gelangweilt auf dem Sofa, starrte an die Decke und seufzte alle drei Minuten demonstrativ.

„Tom, mir ist so laaaangweilig…“, nörgelte er und rutschte halb von der Couch.
Tom zog nicht einmal eine Augenbraue hoch. „Dann sei halt mal kreativ. Lies ein Buch, geh spazieren, mal mir ein Bild – aber nerv mich nicht.“

„Du bist ja herzlos“, konterte Philipp beleidigt und kicherte im selben Moment, weil er merkte, dass er Tom gezielt ärgerte.

In diesem Moment klingelte es, und Frau Bond trat ein – stilecht mit Sonnenbrille, Schal und einem Stück Erdbeerkuchen vom Bäcker.
„Ach, meine zwei Lieblingsdramen. Na, wer nervt hier wen?“

„Er!“, riefen Philipp und Tom gleichzeitig und zeigten aufeinander.

Philipp zog sofort sein Handy hervor. „Hier, guckt mal! Ein Artikel über Gays in der DDR – Razzien, Verfolgung, alles total krass.“ Seine Augen glänzten vor Abenteuerlust. „Frau Bond… eine kleine Zeitreise vielleicht? Nur ein klitzekleines bisschen?“

Sie schob sich genüsslich ein Stück Erdbeerkuchen in den Mund. „Ich esse gerade. Stör mich nicht mit deiner Langeweile.“

„Komm schon“, bettelte Philipp und klammerte sich an ihren Arm. „Tom will nicht, er ist zu faul. Aber du könntest… du könntest die Welt retten! Oder wenigstens meine Sonntagslaune.“

Tom winkte ab. „Vergiss es, Philipp. Ich hab beim letzten Mal nur geheult als ich meine Mutter fand – ich setz keinen Fuß in die Vergangenheit.“

Frau Bond rollte die Augen. „Na gut. Aber nur, weil ich meinen Kuchen nicht in deinem Gejammer ertränken will.“ Sie erhob sich, legte ihm die Hand auf die Stirn und sagte trocken: „Guten Flug.“


Ein Schwindel, ein Ziehen – und zack standen sie mitten in Ost-Berlin, 1985.

Philipp blinzelte und riss begeistert die Augen auf. „Oh mein Gott, guck mal, die alte Straßenbahn! Ziel: Marx-Engels-Platz! Frau Bond, das ist ja wie ein DDR-Märchen.“

„Wenn du Märchen so definierst: Trabants, Wartburgs, und die Luft riecht nach Braunkohle.“

Doch Philipp war im Rausch. „Wir fahren! Komm, komm, das ist ein Abenteuer!“

Sie fuhren vorbei am Volkspark Friedrichshain, Philipp klebte förmlich an der Scheibe. „Guck mal der Märchenbrunnen! Wie schön! Da traf ich Tom.“
„Warte ab, bis du die Realität kennenlernst und den real existierenden Sozialismus“, murmelte Frau Bond.

Plötzlich bog die Straßenbahn nach rechts ab. In der Prenzlauer Allee stiegen sie aus und gingen zum Alexanderplatz.


Angekommen könnte er auch zwischen Weltzeituhr und Fernsehturm kaum sattsehen. Und dann fiel es ihm auf: Männer in Schlaghosen, Lederjacken, knallbunten Hemden – alle musterten sich verstohlen.

„Sind die…?“ Philipp deutete vorsichtig.
„Ja“, bestätigte Frau Bond knapp. „Die Weltzeituhr war einer der großen Treffpunkte für Gays in der DDR.“

Philipp grinste von Ohr zu Ohr. „Das ist ja der Wahnsinn! Ich bleib hier!“

„Du bleibst hier auf der Bank! Ich hole Erdbeerkuchen. Nicht weglaufen, verstanden?“
„Versprochen“, rief Philipp und grinste noch immer schelmisch.

Frau Bond hatte ein schlechtes Gefühl aber der Erdbeerkuchen lockte mehr.


Dreißig Minuten später

Doch als Frau Bond 30 Minuten später aus der Mocca-Milch-Eisbar zurückkam, Latte und Kuchen in der Tasche, war die Bank leer.

„Nein!“, stöhnte sie und packte reflexartig den Kuchen in ihre Handtasche. Ihr Blick huschte panisch über den Platz.

Ein junger Mann setzte sich neben sie. „Sie suchen jemanden?“
„Ja, mittelblond, 24, leicht irre vor Begeisterung.“
Der Typ nickte. „Vor zehn Minuten gab’s ’ne Razziander Volkspolizei. Ihr Typ – echt heiß übrigens – hat unter der Uhr einen anderen geküsst. Die Polizei kam angerannt. Sie flüchteten Richtung Greifswalder Straße. Aber die Volkspolizei war hinter ihnen her.“

Frau Bond schlug die Hände vors Gesicht, der Erdbeerkuchen war vergessen. „Oh Gott, Philipp…“

Sie lief los Richtung Märchenbrunnen.

Am Märchenbrunnen angekommen, sah sie die Wahrheit: Zwei Polizisten zerrten Philipp und einen jungen Mann aus der Toilette. Hände gefesselt, Tränen liefen Philipp über die Wangen.
„Ich hab doch gar nichts gemacht…“, schluchzte er.

Frau Bond fühlte sich ohnmächtig. Sie konnte nur hilflos zusehen, wie Philipp in einen alten, klapprigen Lada gedrückt wurde. Sirenen aufheulten – und weg war er.

In diesem Moment riss sie sich selbst in die Gegenwart zurück.

⌚Panik

Zurück in Prenzlauer Berg saß Tom gemütlich mit einem Tee. „Vier Stunden Ruhe. Weißt du, Frau Bond, ich sollte dir öfter Philipp überlassen. Danke!“

Frau Bond rang nach Worten.
„Wo ist er eigentlich?“ Tom blinzelte.
Sie kniff die Lippen zusammen. „Versprich mir, nicht auszurasten.“

„Sag schon!“
„Nun ja… als ich Kuchen holen war… hat ihn die DDR-Polizei verhaftet.“

Tom sprang vom Sofa. „WAS?!! Du lässt ihn allein in der Vergangenheit verhaften? Das war seine beschissene Langeweile!“

Frau Bond seufzte. „Ich sag doch, ich hätte den Kuchen lieber sofort essen sollen…“

👉 Ende Teil 76, Teil 1

Morgen geht’s weiter um 20.00 Uhr.