Zwischen Hoffnung und Ausnahmezustand

Queere Aktivist*innen in Tel Aviv gestrandet

Tel Aviv – normalerweise eine pulsierende, bunte Metropole, die jedes Jahr zehntausende queere Menschen aus aller Welt zum Pride-Festival anzieht. Doch in diesem Jahr ist alles anders.

Die Absage des Tel Aviv Pride, eines der größten queeren Events im Nahen Osten, kam plötzlich – und hinterließ viele Besucherinnen in einer prekären Lage. Aufgrund der eskalierenden politischen Situation und eines plötzlichen Ausnahmezustands nach Angriffen aus dem Iran wurde der Ben-Gurion-Flughafen geschlossen. Seither ist unklar, wann internationale Flüge wieder aufgenommen werden können. Queere Aktivistinnen und Tourist*innen sitzen fest – in einer Stadt, in der sich innerhalb weniger Stunden das Sicherheitsgefühl drastisch verändert hat.

„Eigentlich wollten wir hier Brücken bauen, Netzwerke schaffen, queeres Leben in Israel kennenlernen“, berichtet unser Interviewpartner, ein Aktivist aus Europa, der derzeit in Tel Aviv weilt. Auf Einladung des israelischen Außenministeriums nahm er gemeinsam mit queeren Vertreter*innen aus mehreren Ländern an einem Austauschprogramm teil. In den Tagen vor dem Ausnahmezustand besuchte die internationale Gruppe queere Begegnungsräume in verschiedenen Städten wie Jerusalem, Haifa und Tel Aviv. Dort fanden intensive Gespräche mit lokalen Organisationen statt – es ging um Sichtbarkeit, gemeinsame Kämpfe und die Lebensrealität queerer Menschen in Israel.

„Wir haben in kleinen Community-Zentren gesessen, mit Aktivist*innen gesprochen, ihre Geschichten gehört. Diese Begegnungen waren unglaublich bereichernd“, erzählt der Teilnehmer.
Doch statt politischer Diskussionen stehen nun Evakuierungspläne, Notfallkontakte und Schutzräume auf der Tagesordnung.

Die Situation vor Ort ist angespannt. Luftalarm heult regelmäßig, Menschen suchen Schutz in Bunkern. „Es ist surreal – tagsüber sehen wir noch Regenbogenflaggen an Häuserfassaden, doch nachts verschanzen wir uns in Schutzräumen“, schildert unser Gesprächspartner. Der Pride mag abgesagt sein, aber die Menschen, die dafür angereist sind, sind geblieben – unfreiwillig. Tausende Tourist*innen, viele davon queere Menschen, finden sich nun in einem Ausnahmezustand wieder, in einem Land, das ihnen zunächst als sicherer Zufluchtsort erschien.

Einige Botschaften haben bereits Kontakt zu ihren Bürger*innen aufgenommen, teilen Sicherheitsinformationen und organisieren, soweit möglich, Unterstützung. Dennoch bleibt die Ungewissheit groß. Wann der Flughafen wieder öffnen wird – niemand kann das derzeit mit Sicherheit sagen.

Auch wenn die offizielle Pride-Parade ausfällt, ist die queere Präsenz in Tel Aviv in diesen Tagen sichtbarer denn je – nicht durch Partys und Demonstrationen, sondern durch Gemeinschaft, Solidarität und gegenseitige Unterstützung in einer schwierigen Zeit. Es ist ein anderer Pride – leise, ernst, aber nicht weniger stark.

Wir sind mit unserem Interviewpartner Konstantin in Kontakt. Wir hoffen das der Flughafen wieder öffnet und alle in ihre Heimatländer kommen – unbeschadet.

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Die Redaktion