
CSD Sachsen-Anhalt unerwünscht – ein Bruch mit dem Gedanken von Vielfalt
Am 14. Juni 2025 findet in Merseburg der erste Christopher Street Day der Stadt statt. Eigentlich ein Grund zur Freude – doch was als Zeichen queerer Sichtbarkeit begann, steht nun unter dem Schatten eines offenen Zerwürfnisses: Das aktuelle Organisationsteam des CSD Merseburg hat die Zusammenarbeit mit dem Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V. nicht nur öffentlich beendet, sondern diesen auch aktiv für die Veranstaltung als „unerwünscht“ erklärt.
Ein Bruch mit dem, was ein CSD eigentlich sein sollte: ein Ort für Toleranz, Miteinander und gegenseitige Unterstützung – gerade innerhalb der Community.
- Ein Blick zurück: Wie es zum CSD in Merseburg kam
Der CSD Sachsen-Anhalt e.V. engagiert sich seit vielen Jahren dafür, Christopher Street Days in jenen Städten zu ermöglichen, wo queere Strukturen noch wachsen. So auch in Merseburg: Auf Wunsch aus der lokalen Community übernahm der landesweite Verein 2023 frühzeitig die organisatorische Verantwortung – etwa die Anmeldung der Versammlung, Absprachen mit Behörden sowie logistische Grundlagen.
Ziel war, wie auch in anderen Städten zuvor: Hilfe zur Selbstorganisation, nicht Kontrolle. Das Konzept: temporäre Unterstützung, dann Übergabe an lokale Gruppen. So wurde der erste Merseburger CSD überhaupt erst möglich.
- Kooperation statt Konkurrenz – und dann der Bruch
In einem Kooperationsgespräch mit der Stadtverwaltung wurde die Versammlungsleitung später vertrauensvoll an das lokale Team übergeben. Laut Stellungnahme des CSD Sachsen-Anhalt geschah dies einvernehmlich, mit Handschlag und gegenseitigem Respekt – unter der Zusicherung, dass der Verein weiterhin willkommen sei.
Dass der CSD Merseburg diesen Prozess nun als Machtanspruch umdeutet, überrascht nicht nur Beobachter:innen – es widerspricht laut Sachsen-Anhalt e.V. den realen Abläufen und getroffenen Absprachen.
Noch gravierender: Als dem landesweiten Verein kurzfristig die Beteiligung untersagt wurde, meldete dieser – auf Anraten beteiligter Behörden – eine zweite Versammlung an, um rechtlich abgesichert dennoch präsent sein zu können. Auch dies wird nun von Merseburger Seite als Spaltungsversuch ausgelegt.
- Was hinter der Trennung steht
Offiziell äußert sich das Merseburger Organisationsteam bislang kaum zu den konkreten Gründen für den Ausschluss. Internen Quellen zufolge geht es um Profilierungsansprüche und interne Konflikte – nicht um inhaltliche Differenzen. Es ist ein Konflikt, der offenlegt, wie verletzlich queere Strukturen sind, wenn Eitelkeiten über Zusammenarbeit gestellt werden.
Der CSD Sachsen-Anhalt e.V. weist in seiner Stellungnahme pauschale Vorwürfe wie Intransparenz deutlich zurück. Spenden würden ordnungsgemäß dokumentiert, zweckgebunden verwendet und auf Nachfrage offengelegt. Als gemeinnütziger Verein ist der CSD Sachsen-Anhalt zur Rechenschaft verpflichtet – und lebt dies seit Jahren sichtbar.
- Keine Beteiligung – aber klare Haltung
Trotz der angespannten Lage wird sich der CSD Sachsen-Anhalt e.V. nicht aktiv am CSD Merseburg beteiligen – aus Respekt vor der Entscheidung des lokalen Teams. Der Ton in der Stellungnahme ist versöhnlich, aber bestimmt: Der Verein zeigt sich enttäuscht, aber bereit, auch in Zukunft wieder Brücken zu bauen.
„Wir stehen für einen Christopher Street Day, der niemanden ausschließt, der Verbindlichkeit lebt und in schwierigen Momenten Verantwortung nicht abwälzt, sondern annimmt.“
Ein Satz, der in diesen Tagen mehr über queere Politik aussagt als viele große Reden.
- Kommentar: Wenn aus Sichtbarkeit Selbstdarstellung wird
Der CSD ist kein Ort für Machtkämpfe, sondern für Menschen.
Wenn ein lokales Team einen erfahrenen Partner auslädt, der ihnen den Rücken gestärkt hat, dann sendet das ein fatales Signal: Wer unbequem wird, wird aussortiert.
Doch gerade in Zeiten zunehmender queerfeindlicher Angriffe braucht es Einheit, nicht Eitelkeit.
Der Fall Merseburg zeigt, wie wichtig es ist, Strukturen transparent und verlässlich aufzubauen – und wie leicht das gemeinsame Ziel verloren geht, wenn Einzelne sich selbst wichtiger nehmen als die Sache.
Denn was sind wir als Community wert, wenn wir anfangen, einander auszugrenzen?
Was bleibt von „Pride“, wenn wir Gruppen, die seit Jahren engagiert, sichtbar und solidarisch arbeiten, plötzlich für „unerwünscht“ erklären?
Ein CSD, der andere queere Gruppen ausschließt, die für Vielfalt, Weltoffenheit und Verantwortung stehen, ist kein CSD.
Ein „Pride“, der sich im eigenen Geltungsdrang verliert, ist kein Pride.
Was bleibt, ist eine Dorfparade mit Regenbogenfahne – laut, aber leer.
Wer Sichtbarkeit wirklich will, muss auch aushalten, dass andere sichtbar sind. Und wer Vielfalt fordert, darf sie nicht bekämpfen, wenn sie unbequem wird.
Radio QueerLive
Die Redaktion