Außen Motto, innen hohl

Wenn Vielfalt zur Einbahnstraße wird – Ein Kommentar zum CSD Merseburg

Radio QueerLive war vor Ort beim ersten Christopher Street Day in Merseburg. Was wir dort gesehen haben, war ein bunter und sichtbarer Protest vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Menschen, die sich für queere Sichtbarkeit starkmachen, Flagge zeigen, Vielfalt leben. Es war ein Tag mit wichtigen Zeichen in einer Region, in der queeres Leben noch nicht selbstverständlich sichtbar ist.
Wir erlebten Mensch, die Freundinnen und Freunde auch aus anderen Regionen zu sich holten , um gemeinsam zu demonstrieren.

Ganz anders zeigte sich jedoch das Orga-Team des CSD Merseburg.

Denn ausgerechnet ein Verein, der sich seit vielen Jahren in Sachsen-Anhalt für queere Sichtbarkeit einsetzt, wurde am Vortag des Events für unerwünscht erklärt: der Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V.
Der Verein, der die Initiative in Merseburg überhaupt erst ermöglichte, wurde ausgeladen. Nicht offiziell, nicht mit einem offenen Dialog, sondern in letzter Minute und ohne öffentliche Erklärung.

Begonnen hatte alles mit einem Hilferuf: Eine Gruppe in Merseburg meldete sich im Sommer 2024 beim Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V. mit dem Wunsch, auch in ihrer Stadt einen CSD zu veranstalten. Der Verein nahm sich der Sache an. Er sicherte frühzeitig die Domain, übernahm die erste Versammlungsanmeldung, führte Gespräche mit Behörden, fuhr immer wieder nach Merseburg und unterstützte die lokalen Aktiven beim Aufbau.
Auch wurde der CSD Merseburg länderübergreifend beworben auf queeren Events.

Der Grundsatz dabei war stets klar: Hilfe zur Selbsthilfe. Nicht dominieren, sondern begleiten. Nicht kontrollieren, sondern befähigen. Dieses Vertrauen gipfelte in einem Kooperationsgespräch mit den Behörden, bei dem die Versammlungsleitung an das lokale Team übergeben wurde. Die Beteiligung des Christopher Street Day Sachsen-Anhalt eV am Tag der Demonstration wurde dort ausdrücklich zugesichert – per Handschlag.

Was danach passierte, widerspricht diesem Geist. Die Beteiligung wurde plötzlich verweigert. Eine zusätzlich angemeldete Versammlung des Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V., die auf Anraten der Behörden als rechtliche Absicherung erfolgte, wurde als Konkurrenzveranstaltung diffamiert. Und schließlich folgte die öffentliche Ausladung durch das Merseburger Orga-Team – verbunden mit einem kategorischen Ausschluss.

Am Veranstaltungstag selbst setzte sich dieses Verhalten fort. Als Radio QueerLive um ein Interview mit der Orga-Leitung bat, musste diese sich erst rückversichern. Die Antwort lautete: Nein, man wolle mit Radio QueerLive nicht sprechen.

Gleichzeitig war das Motto des Tages groß auf dem Hauptbanner zu lesen: Queer. Laut. Solidarisch. Für Vielfalt im Saalekreis.

  • Doch wer andere queere Gruppen aktiv ausschließt, ist nicht queer im Sinne einer offenen, diversen Community.
  • Wer Solidarität predigt, aber anderen ihr Engagement abspricht, handelt nicht solidarisch.
  • Und wer Vielfalt will, aber die Tür verschließt, wenn Menschen von außen mithelfen wollen, sorgt nicht für Vielfalt, sondern für Einfalt.

Dabei leben CSDs in Deutschland seit Jahrzehnten von einem Prinzip: Unterstützung über Stadtgrenzen hinweg. Gruppen reisen durch das ganze Land, unterstützen lokale CSDs, helfen bei Organisation, Technik, Vernetzung. Diese Solidarität ist keine Ausnahme, sie ist Teil der DNA der Bewegung.

In Merseburg hingegen hörten wir von der Bühne den Satz: Unser Orgateam ist für einen lokalen CSD. Es war ein deutliches Zeichen für Abschottung und gegen überregionale Solidarität. Es war eine Absage an die Idee, gemeinsam größer zu sein als die Summe der Einzelnen.
Und wenn der CSD Merseburg lokal bleiben möchte, wieso suchen sie den Kontakt zum Christopher Street Day Sachsen Anhalt eV und lassen den die Arbeit machen?

Wieso also diese Abgrenzung? Wieso dieser Ausschluss?

Vielleicht steckt hinter der Abschottung auch eine Form von Unsicherheit. Vielleicht fürchtet man, dass Aufmerksamkeit und Anerkennung geteilt werden müssten. Dass der Einfluss der eigenen Gruppe relativiert wird. Dass man in den Hintergrund gerät, wenn erfahrene Akteurinnen und Akteure mit am Tisch sitzen.

Doch wer aus Angst vor dem Teilen andere ausschließt, verkennt den Sinn eines CSD. Denn Pride ist kein Ort für Kontrollbedürfnisse. Pride ist ein Ort für Begegnung, für Vielfalt, für gegenseitige Stärkung. Wer andere klein macht, macht sich selbst nicht größer.

Der Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V. hat sich trotz der Einladung zur Teilnahme zurückgezogen. Aus Respekt vor der Sicherheit der Veranstaltung und vor den Menschen, die trotzdem demonstrieren wollten. Und trotzdem bleibt der Eindruck: Hier wurde nicht nur ein Verein ausgeschlossen, hier wurde ein Stück Community verraten.

Wenn ein CSD anderen queeren Gruppen die Teilnahme verweigert, wenn er kritische Medien ausschließt und Zusammenarbeit verweigert, dann ist das kein CSD. Dann ist das keine Pride. Dann ist das eine Dorfparade mit Regenbogenflagge, außen bunt und innen hohl.

Was uns als Community stark gemacht hat, ist das Miteinander. Wenn wir das verlieren, verlieren wir mehr als ein Event. Dann verlieren wir die Idee, für die wir auf die Straße gehen.

Queer sein heißt, offen zu sein. Laut sein heißt, für andere mitzusprechen. Solidarisch sein heißt, Platz zu machen, wenn andere sichtbar werden wollen.

Alles andere ist Etikettenschwindel.

Andreas
Radio QueerLive