Ein CSD, der keiner war

Enttäuschung in Merseburg, Perspektiven in Magdeburg

Am 14. Juni war RadioQueerLive in Merseburg beim ersten Christopher Street Day der Stadt – oder besser gesagt: bei einer Veranstaltung, die diesen Namen offiziell trug, inhaltlich aber weit davon entfernt war.

Denn das Motto des Tages lautete zwar „queer, laut, solidarisch“, doch gelebt wurde davon wenig.
‚Queer‘ war hier vor allem das Ausschließen anderer queerer Gruppen.
‚Laut‘ wurde es nur auf der Bühne – nicht im Dialog mit anderen.
Und ’solidarisch‘ war das Verhalten gegenüber dem landesweiten Partnerverein ganz sicher nicht.

Der Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V., der das Projekt maßgeblich mit angestoßen, organisatorisch abgesichert und vorbereitet hatte, wurde kurz vor der Veranstaltung faktisch ausgeladen.
Zugesagte Beteiligung wurde zurückgenommen, persönliche Kommunikation abgebrochen, zuletzt sogar der Zugang vor Ort verweigert.

Auch wir als Pressevertretung von Radio QueerLive wurden nicht willkommen geheißen.
Als wir die Orga-Leitung um ein Interview baten, hieß es, man müsse sich „intern erst erkundigen, ob das erlaubt sei“.
Die Rückmeldung: Radio QueerLive bekommt kein Interview.
Man spricht also nicht nur über Sichtbarkeit – man entscheidet offenbar auch, wer sichtbar sein darf.

Wir haben Merseburg verlassen und sind spontan nach Magdeburg zum Team des Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V. gefahren.
Dort trafen wir auf ein offenes, reflektiertes und enttäuschtes Team.
Enttäuscht darüber, wie man in Merseburg mit Engagement, Vertrauen und gemeinsamer Planung umgegangen ist – aber zugleich voller Energie, um die Arbeit an anderer Stelle fortzusetzen.
Der Verein plant bereits neue Stationen im ganzen Bundesland, ist im Austausch mit Partnern in ganz Deutschland – und lebt genau das, was in Merseburg im Motto stand, aber auf der Straße fehlte.

Was wir in Merseburg zudem vermissen: Transparenz.
Gerade die wurde vom Orga-Team des CSD Merseburg auf der Bühne lautstark vom Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V. eingefordert.
Doch gerade in ihrer eigenen Kommunikation, im Umgang mit Verantwortung und Öffentlichkeit, bleibt die lokale Gruppe selbst vieles schuldig.

Zudem zeigt sich ein grundlegend anderes Selbstverständnis.

Der CSD Merseburg scheint sich bewusst auf die eigene Stadt und das lokale Umfeld beschränken zu wollen – ein CSD im eigenen Tümpel, ohne über den Tellerrand zu blicken.
Der Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V. hingegen lebt einen landesweiten Ansatz: Er bringt queere Menschen aus unterschiedlichen Städten, unterschiedlichen Generationen zusammen, sorgt für Sichtbarkeit an verschiedenen Orten und lädt aktiv andere Gruppen ein, diese CSDs zu bereichern.

Am Ende bleiben klare Forderungen und Fragen im Raum.

Wir fordern, dass der CSD Merseburg die Kosten übernimmt, die dem Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V. in den vergangenen Monaten entstanden sind.
Diese umfassen nicht nur organisatorische Vorleistungen, sondern auch konkrete Ausgaben für Technik, einen LKW, zahlreiche Fahrten und Planungstreffen vor Ort.
Darüber hinaus hat der Verein den CSD Merseburg fast ein Jahr lang öffentlich beworben – in seinen eigenen Kanälen, im Austausch mit Partnern, bei anderen Veranstaltungen sowie in kostspieligen Werbeanzeigen in Printmedien.
Diese dauerhafte Unterstützung wurde aus Überzeugung und mit Ressourcen des Vereins geleistet – ohne Gegenleistung, ohne Förderung.
Diese Kosten dürfen nicht bei einem gemeinnützigen Verein hängen bleiben, der in gutem Glauben aufgebaut, organisiert und unterstützt hat.

Und schließlich stellt sich die Frage:
Was sagt es über einen sogenannten Pride aus, wenn queere Gruppen ausgeschlossen, Presse stummgeschaltet und Unterstützende öffentlich diffamiert werden?

Man kann eine Bühne aufstellen, man kann ein Logo drucken –
aber ein Christopher Street Day ist mehr als das.
Er lebt von Haltung, Offenheit und echter Solidarität.
Davon war am 14. Juni in Merseburg leider wenig zu spüren.

Auf den Bildern sehen wir das Team vom Christopher Street Day Sachsen-Anhalt eV, die wir am Samstag spontan besucht haben.

Radio QueerLive
Die Redaktion