
Radio QueerLive – Eine Berliner Liebesgeschichte
Teil 13:
Und plötzlich war alles still
Es war ein Sonntagabend, wie jeder andere. Philipp stand am Herd und rührte in der Pfanne. Tom saß am Küchentisch und faltete Wäsche, während im Hintergrund leise Musik aus dem kleinen burgunderfarbenen Radio spielte. Kathi wollte mit dem Fahrrad noch schnell zum Supermarkt. „Ich brauch Schokolade, sonst wird das ein langweiliger Abend mit euch“, hatte sie lachend gesagt, als sie losradelte.
Doch jetzt, zwei Stunden später, war sie nicht zurück. Nicht erreichbar. Keine Nachricht.
Tom runzelte die Stirn, griff nach seinem Handy und rief sie an. Einmal. Zweimal. Kein Durchkommen.
Dann klingelte es plötzlich. Doch es war nicht Kathi. Es war ein unbekannter Kontakt – „Krankenhaus Friedrichshain“ stand auf dem Display.
Tom nahm ab – seine Stimme stockte.
„Ja? … Ja, das bin ich. … Was?! … Wie bitte?“
Philipp erstarrte am Herd, der Holzlöffel fiel ihm aus der Hand.
„Wir kommen sofort!“, sagte Tom und sprang auf.
Kathi war angefahren worden. Ein Autofahrer hatte ihr die Vorfahrt genommen, sie war gestürzt, mit dem Kopf ungebremst auf den Bordstein. Schweres Schädel-Hirn-Trauma. Bewusstlos.
Sie lag jetzt auf der Intensivstation – im künstlichen Koma.
Tom und Philipp saßen wenig später im Wartebereich. Die Uhr tickte. Ihre Jacken noch an, die Gesichter blass.
„Wir müssen ihre Eltern informieren…“, sagte Philipp leise.
„Vielleicht steht was im Handy…“, antwortete Tom.
Sie fanden eine Nummer mit dem Namen „Mama“.
Tom atmete tief ein und drückte auf den grünen Hörer.
„Ja?“ – die Stimme war kühl, weiblich.
„Hallo, guten Abend, mein Name ist Tom Berger. Ich rufe an, weil… Ihre Tochter Kathi… hatte einen Unfall. Sie liegt im Krankenhaus.“
Stille. Dann nur:
„Wir haben keine Tochter mehr. Unsere Tochter hat sich gegen uns entschieden. Sie gehört nicht mehr zu dieser Familie.“
Ein Klick. Gespräch beendet.
Tom starrte auf das Handy, entsetzt. Philipp sah ihn nur an. Dann nahm er ihm das Telefon aus der Hand.
„Ich rufe zurück. Ich sag denen mal was.“
Er drückte erneut auf den Hörer.
Wieder nahm jemand ab.
„Hören Sie mir mal gut zu“, sagte Philipp, die Stimme plötzlich klar und ruhig – aber voller Kraft.
„Ihre Tochter liegt im Koma. Sie könnte sterben. Und wenn das passiert, dann haben Sie nie die Chance gehabt, sich zu verabschieden. Sie werden ihr nie wieder in die Augen schauen. Nie wieder sagen können, dass Sie sie liebhaben – selbst wenn Sie es im Moment nicht verstehen.“
Stille.
„Wenn Sie jetzt nicht kommen, dann ist das für immer Ihre Entscheidung.“
Er legte auf.
Tom nickte ihm nur wortlos zu.
Eine Stunde später.
Ein Krankenzimmer, kalt und still. Maschinen piepsten leise. Kathi lag in einem weißen Bett, bleich, ruhig, ihr Gesicht leicht geschrammt. Kabel, Schläuche.
Dann öffnete sich die Tür.
Ein Mann, eine Frau. Die Eltern. Unsicher, überfordert.
Sie blieben am Rand stehen.
Tom und Philipp erhoben sich.
„Wir sind…“
„Tom und Philipp“, sagte Tom ruhig. „Sie hat bei uns gewohnt. Seit dem Rauswurf.“
Die Mutter begann zu weinen. Der Vater sagte nichts.
Philipp trat einen Schritt vor.
„Kathi ist nicht anders. Sie ist einfach sie selbst. So war sie schon immer. Lesbisch zu sein ist kein Fehler. Kein Bruch. Kein Verrat. Es ist einfach nur ehrlich.“
Die Mutter trat ans Bett.
Sie zögerte – dann nahm sie Kathis Hand.
„Ich… ich wusste das nicht. Nicht wirklich“, flüsterte sie.
„Wir waren einfach überfordert“, sagte der Vater leise.
„Wir wollten nur… sie beschützen. Aber… wir haben sie verletzt.“
Tom sagte nichts. Er sah nur zu, wie sich die Hand der Tochter und die der Mutter fanden.
Eine Stunde später.
Im Flur des Krankenhauses.
Tom und Philipp standen nebeneinander. Die Eltern saßen am Bett ihrer Tochter.
„Glaubst du, sie wacht wieder auf?“, fragte Philipp leise.
„Ich hoffe es“, antwortete Tom.
„Dann können sie ihr sagen, dass sie wieder zu Hause willkommen ist.“
Die Atmosphäre im Flur war schwer. Philipp und Tom saßen auf der kleinen Bank neben der Tür zur Intensivstation. Tom hatte die Augen geschlossen, als wolle er ein Gebet sprechen, das er nicht kannte. Philipp starrte auf den Boden, seine Hände ineinander verschränkt.
Dann – ein Schrei.
„Kathi?!“ Die Stimme der Mutter. Grell, durchdringend.
Tom und Philipp sprangen auf. Die Tür zum Zimmer stand offen.
Sie sahen, wie die Mutter am Bett ihrer Tochter kniete – ihre Hand umklammerte die von Kathi.

„Sie hat… sie hat die Augen aufgemacht!“, rief sie fassungslos, Tränen liefen ihr übers Gesicht.
Der Vater stand wie erstarrt daneben.
Kathi blinzelte. Schwach, kaum sichtbar. Aber es war da. Ein Lebenszeichen.
Und dann – ein Finger. Eine Bewegung. Ganz leicht, aber unübersehbar.
Philipp stockte der Atem. Tom legte ihm den Arm um die Schulter.
„Sie ist stark“, flüsterte Philipp.
„Und sie hat noch was vor“, antwortete Tom.
In diesem Moment war alles möglich.
Teil 13 – Ende
Morgen geht’s weiter um 20 Uhr bei Radio QueerLive.