
Radio QueerLive – Eine Berliner Liebesgeschichte
Teil 28:
„Festgesetzt„
19:30 Uhr. Die Sonne war gerade dabei, sich hinter einem Streifen Wolken zu verstecken, als der LKW mit Tom, Marc, Fabian und Steven endgültig zum Stillstand kam – genau vor dem massiven Schlagbaum der Ukraine. Zwei bewaffnete Beamte kamen gemächlich auf sie zu. Ohne Eile. Ohne Blickkontakt. Der eine von ihnen hob die Hand und bedeutete Tom, das Fenster zu öffnen.
„Der LKW wird konfessiert“, sagte der Beamte kühl.
Tom runzelte die Stirn. „Wie bitte, ich habe Sie nicht verstanden?“
„Für die Armee. Der LKW. Und alles, was drin ist.“
Für einen Moment war es still in der Fahrerkabine. Nur das Summen der Lüftung war zu hören. Dann griff Tom wie ferngesteuert nach seinem Handy und wählte die Nummer von Philipp.
Im Salon 6 des Park Inn Hotels war es inzwischen dunkel geworden. Die Bildschirme warfen bläuliches Licht auf die Gesichter von Gustav, Jakob und Philipp.
Als Toms Anruf kam, war es so, als hätte jemand die Luft aus dem Raum gesogen. „Sie wollen den LKW konfesszieren“, sagte Tom tonlos. „Alles. Auch die Ladung.“

Philipp war sofort hellwach. Keine Sekunde Emotion. Keine Zeit für Panik. Die Stimme wurde scharf. „Gib mir den Namen des Beamten.“ Tom „Der spricht… irgendwas zwischen Russisch und Ukrainisch. Auf jeden Fall ganz schlecht Englisch.“
„Perfekt“, sagte Philipp. „Ich kümmere mich.“
Während Philipp sich einen freien Laptop schnappte und sich durch die Leitung zur Grenzbehörde telefonierte, reagierten Jakob und Gustav ebenso entschlossen.
Jakob, der gerade die aktuelle Lageskizze am Bildschirm verfolgte, griff zum Telefon. „Ich informiere Radio QueerLive.“ Keine fünf Minuten später vermeldete die Station live im Programm, dass die ukrainische Grenzbehörde einen LKW mit Spenden für queere Geflüchtete beschlagnahmen will – Hilfsgüter, die nie ihr Ziel erreichen würden, sondern stattdessen an die ukrainische Armee übergeben werden sollen.
Die Nachricht verbreitete sich sofort wie ein Lauffeuer. Weitere private Hilfsorganisationen, die sich mit Transporten auf dem Weg zur Grenze befanden, stoppten aus Vorsicht ihr Ziel. Man wollte kein Risiko eingehen, dass auch ihre Lieferungen im Militärsystem verschwinden.
„Wir haben Rückmeldungen“, rief Gustav durch den Raum. „Drei andere Organisationen halten ihre LKWs zurück. Die warten jetzt, was hier passiert.“
Jakob drehte sich zu Philipp: „Die hören alle unseren Stream. Und erwarten Entscheidungen.“
Philipp ließ sich nicht beirren. Er telefonierte sich hoch – erst mit dem Grenzbeamten, dann mit dessen Vorgesetztem, dann weiter in die Hierarchien hinein. Sechs Stunden lang. Ohne Pause. Ohne Ermüdung. Parallel hatte Gustav inzwischen Kontakt zur ukrainischen Botschaft in Berlin hergestellt – und stellte die Verbindung weiter.
„Philipp, du bist dran“, sagte er und reichte ihm das Telefon.
„Guten Abend“, sagte Philipp. „Hier spricht Philipp vom QueerLive-Orga-Team. Ich wollte nur, bevor wir weiterreden, darum bitten: Machen Sie mal bitte das Radio an. QueerLive. Hören Sie sich an, wie viele Organisationen gerade nicht wissen, ob sie die Grenze noch überqueren sollen. Sie hören sich jetzt selbst die Folgen Ihrer Entscheidung an. Wollen Sie das den Frauen und Kindern in ihrem Land antun?“
Ein Moment der Stille.
Dann kam vom anderen Ende: „Wir melden uns gleich zurück.“
Und so kam es. Um kurz nach Mitternacht gab es endlich ein offizielles Signal von der ukrainischen Seite.
Der Grenzoffizier, mit dem Philipp zuletzt sprach, klang müde. Und leicht genervt.
„Der LKW wird freigegeben“, sagte er. „Aber er muss sofort umkehren. Zurück in die Europäische Union.“
„Und die Ladung?“, fragte Philipp.
„Unberührt.“
Philipp legte auf, atmete ein einziges Mal tief durch – und griff sofort wieder zum Handy. „Tom, ihr dürft zurück. Ihr bleibt zusammen. Niemand rührt euren LKW an. Fahrt zurück in die EU. Ich regel den Rest von hier.“
Tom war ganz gerührt. „Danke, Philipp“, kam es nur leise zurück. Dann legte Tom auf.
Der Raum im Park Inn blieb still. Bis Gustav leise sagte: „Philipp du hast es geschafft. Tom und die Anderen sind wieder sicher in der EU“
Ein Moment lang sagte niemand etwas.
Jakob starrte auf den Bildschirm, auf dem sich langsam wieder der GPS-Punkt in Bewegung setzte. Gustav hatte einen leicht grünlichen Schimmer im Gesicht, was nicht allein am Licht des Laptops lag.
Philipp lehnte sich zurück, schloss für einen Moment die Augen und sagte tonlos: „Mir ist so richtig schlecht… ich glaub, ich muss mich übergeben.“
Jakob sprang auf. „Alles okay?“
Philipp winkte ab, taumelte leicht in Richtung Tür. „Ich… brauch frische Luft. Oder Tee. Oder beides. Aber wenigstens… sie sind wieder raus.“
Und mit diesen Worten öffnete er die Tür des Raumes – und ließ den ganzen Stress der letzten Stunden symbolisch mit entweichen.
Jetzt ist der Wagen wieder in der EU aber wie bekommt das Shelter die Lebensmittel?
Ende Teil 29.
.Morgen geht es weiter um 20:00 Uhr