Barrierefrei, laut & unübersehbar

Die „behindert und verrückt feiern – Pride Parade“ zieht am 5. Juli 2025 durch Berlin und setzt ein Zeichen für Inklusion, Selbstbestimmung und Solidarität

Wenn am ersten Juli-Samstag die Lautsprecherwagen in der Hasenheide anrollen, ist klar: Berlin bekommt eine ganz eigene Pride-Parade.
Unter dem diesjährigen Motto „feiern bis zum auffallen!“ ruft das Bündnis behindert und verrückt feiern Menschen mit Behinderungen, Krisen- und Psychiatrieerfahrung sowie ihre Freund*innen dazu auf, Raum einzunehmen – buchstäblich und politisch.

Eine Parade gegen Scham und Fürsorgementalität

Seit 2013 organisieren Aktivist*innen die Demo bewusst außerhalb des Mainstream-CSD. „Wir nennen uns behindert und verrückt, um diese Begriffe zurückzuerobern“, erklärt das selbstorganisierte Bündnis. Die Botschaft: Weg von Fremdbestimmung und pathologisierendem Blick, hin zu Selbstvertretung, Sichtbarkeit und Freude. Mit Rollstühlen, Krücken, Assistenzhunden, Tanzgruppen und lauter Musik soll gezeigt werden, dass Teilhabe kein Gnadenakt ist, sondern ein Recht.

Der politische Kern ist unverändert aktuell. Noch immer entscheidet häufig ein Kostenträger, ob Assistenzstunden genehmigt werden; noch immer endet Teilhabe oft an einer Bordsteinkante ohne Rampen. Die Parade klagt diese strukturellen Barrieren an – und kehrt sie für einen Tag ins Gegenteil: Eine Straße, die sonst von Autos dominiert wird, gehört denjenigen, die im Alltag am häufigsten an Rand gedrängt werden.

Route, Zeitplan und offene Baustellen

Um die Demo „möglichst sicher und barrierearm“ zu gestalten, sucht das Bündnis noch Ordnerinnen, Springerinnen, Gebärdensprach- und Flüsterübersetzer*innen. Wer helfen möchte, kann sich unter mitmachenparade@gmail.com melden. Auch finanzielle Spenden werden dringend benötigt, etwa für Awareness-Teams oder Dolmetsch-Honorare.

Gerade diese Suche nach Helfer*innen verrät ein Dilemma: Eine Parade, die Barrieren abbauen will, muss oft selbst mit wenig Budget hohe technische und personelle Hürden meistern – vom barrierefreien Wagen bis zur durchgängigen Verdolmetschung. Dass staatliche Förderungen hier noch immer sporadisch und projektbezogen sind, zeigt, wie viel Symbolpolitik sich hinter Sonntagsreden zu „Inklusion“ verbirgt.

Mehr als ein Nischen-Event

Was die Parade besonders macht, ist ihre konsequente Intersektionalität. Rassismuserfahrene Behinderte, queere Autist*innen oder Menschen mit Armutserfahrung: Alle sollen sichtbar sein, niemand wird zum Randthema. In den vergangenen Jahren reichte das Spektrum der Forderungen von kostenlosem ÖPNV für Schwerbehinderte bis zur Abschaffung von Zwangsunterbringungen in der Psychiatrie.

Diese Breite stärkt das Bündnis, macht die Arbeit aber zugleich komplexer. Längst geht es nicht nur um Rampen vor Clubs oder Induktionsschleifen in Theatern, sondern um die Frage, wie eine Gesellschaft wirtschaftlichen und sozialen Wert definiert. „Wir protestieren dagegen, dass Menschen in unserer kapitalistischen Gesellschaft nur etwas wert sind, wenn sie arbeiten können“, heißt es im diesjährigen Aufruf.

Warum sich Mitlaufen lohnt

Wer am 5. Juli mitzieht – ob im Rollstuhl, auf Stelzen oder zu Fuß – erfährt etwas, das sich in Policy-Papieren nicht abbilden lässt: die Kraft gemeinsamer, selbstbestimmter Sichtbarkeit. Für viele Teilnehmende ist die Parade ein rarer Moment, in dem sie nicht „Störung“ oder „Sonderfall“ sind, sondern Gestalter*innen des öffentlichen Raums.

Berlin rühmt sich gern als „Stadt der Freiheit“. Am 5. Juli kann sie zeigen, dass diese Freiheit nicht am Bordstein endet. Eine große, bunte, solidarische Demonstration wäre das deutlichste Signal – an die Politik, an Passant*innen und nicht zuletzt an alle, die im Alltag zu oft unsichtbar gemacht werden.

Mitmachen statt Applaudieren

Solidarität erschöpft sich nicht im wohlmeinenden Like. Wer Zeit hat, kann das Awareness-Team verstärken oder Ordner*in werden. Wer Geld übrig hat, kann spenden. Und wer weder das eine noch das andere kann, ist eingeladen, einfach vor Ort mitzufeiern und laut zu sein – bis alle auffallen, nicht nur einige.

Denn gelebte Inklusion beginnt genau dort: auf der Straße, zwischen Musikbox, Rollstuhl-Gänsemarsch und Konfettikanone. Am 5. Juli bietet Berlin die Bühne – nehmen wir sie ein.

Start:

  1. Juli 2025, 15 Uhr,
    Hasenheide / Ecke Jahnstraße

Ziel:
Kottbusser Tor (Südblock)

Motto:
„feiern bis zum auffallen!“

Radio QueerLive wünscht viel Erfolg bei der Realisierung der Demonstration.

Radio QueerLive
Die Redaktion