Toleranz in der Krise

Warum queere Menschen 2025 wieder vermehrt Anfeindungen ausgesetzt sind

Es schien, als würde die Gesellschaft auf einem guten Weg sein: Die LGBTQIA+-Bewegung hatte in vielen westlichen Ländern beachtliche Fortschritte erzielt – rechtlich, gesellschaftlich, medial. Regenbogenflaggen schmückten Rathäuser, Konzerne warben mit Diversität, Schulen thematisierten Identität. Toleranz und Akzeptanz waren keine bloßen Schlagworte mehr, sondern vielerorts gelebte Realität.

Doch heute, im Jahr 2025, lässt sich ein beunruhigender Trend erkennen: Ein Rückschritt. Was lange Zeit mühsam erkämpft wurde, wird zunehmend infrage gestellt, lächerlich gemacht oder offen angefeindet – besonders im digitalen Raum. Menschen, die nicht der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft entsprechen, sehen sich wieder vermehrt Hass, Pöbeleien und Ausgrenzung ausgesetzt. Warum?

Die Angst vor dem „Anderen“

Intoleranz ist kein neues Phänomen. Doch sie nimmt neue Formen an, verstärkt durch soziale Medien, politische Polarisierung und eine wachsende gesellschaftliche Unsicherheit. Viele Menschen fühlen sich abgehängt, überfordert mit komplexen Themen wie Genderidentität, kultureller Vielfalt oder sozialer Gerechtigkeit. In dieser Verunsicherung gedeiht ein gefährlicher Reflex: die Abgrenzung. Wer nicht dem vermeintlich „Normalen“ entspricht, wird zum Feindbild.

Dabei spielt oft fehlender Kontakt eine zentrale Rolle: Wer keine queeren Menschen im eigenen Umfeld kennt, bleibt anfälliger für Vorurteile. Studien zeigen, dass persönliche Begegnungen mit Minderheiten die Toleranz erhöhen – weil das Menschliche das Abstrakte ersetzt. Wo diese Begegnungen fehlen, bleibt Raum für Klischees, Halbwissen und Angst.

Bildung, oder das Fehlen davon

Ein weiteres zentrales Problem: mangelhafte Bildung – und das in zweifacher Hinsicht. Erstens fehlt es oft an grundlegender Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, etwa in Schulen, Medien oder öffentlichen Debatten. Zweitens scheitert Bildung in einem tieferen Sinn: an der Fähigkeit, differenziert zu denken, Empathie zu entwickeln und sich in andere Lebensrealitäten hineinzufühlen. Intoleranz ist oft das Resultat eines intellektuellen und emotionalen Mangels.

Religion und geistige Enge

Es wäre zu einfach, Religion pauschal die Schuld zu geben – viele Gläubige setzen sich aktiv für Toleranz ein. Doch es stimmt: In konservativen Ausprägungen wirkt Religion häufig identitätsbegrenzend. Wer sein Weltbild aus starren Schriften ableitet, sieht in Abweichung oft Sünde, nicht Vielfalt. Das Problem ist dabei weniger der Glaube selbst als dessen dogmatische Interpretation – ein weiteres Beispiel geistiger Enge, die sich gegen das vermeintlich „Andere“ richtet.

Der digitale Pranger: Warum es online besonders schlimm ist

Das Internet war einst Hoffnungsträger für Austausch, Verständnis und Sichtbarkeit. Heute ist es zunehmend ein Ort des Hasses. In der scheinbaren Anonymität sozialer Medien lassen viele die Maske fallen. Frustrierte, verunsicherte und oft schlecht informierte Menschen nutzen Plattformen, um gegen queere Personen zu hetzen. Weil es leicht ist. Weil es Applaus gibt. Weil es algorithmisch verstärkt wird.

Dazu kommt ein neuer Trend: Immer mehr Menschen fühlen sich von der Offenheit der letzten Jahre provoziert. Was als Fortschritt gedacht war, empfinden sie als moralischen Zwang. Und reagieren mit Wut. Die Freiheit, „alles sagen zu dürfen“, wird plötzlich als Verteidigung des eigenen Weltbilds missbraucht – gegen Minderheiten, gegen queere Menschen, gegen die sogenannte „Wokeness“. Es ist ein paradoxes Phänomen: Die, die sich angeblich nicht äußern dürfen, brüllen am lautesten.

Warum sich etwas ändern muss

Queere Menschen sind keine Ideologie, keine Modeerscheinung, kein gesellschaftliches Projekt – sie sind Menschen. Menschen mit Geschichten, Hoffnungen, Ängsten, Rechten. Dass sie sich heute wieder rechtfertigen, verteidigen oder sogar verstecken müssen, ist ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft, die sich als frei und gerecht versteht.

Die Antwort auf diese Krise liegt nicht im Schweigen, sondern im Hinsehen. In echter Bildung. In Gesprächen. In Solidarität. In konsequenter Gegenrede – online wie offline.

Denn Toleranz ist keine Selbstverständlichkeit. Sie muss verteidigt werden. Jeden Tag.

Radio QueerLive
Die Redaktion