
Historische Buchhandlung in St. Petersburg war wegen Verstoß gegen das Anti-LGBTI+ Gesetz verurteilt worden – nun wurde das Verfahren überraschend eingestellt
St. Petersburg – Unerwartete Wendung im Fall der renommierten Buchhandlung Podpisniye Izdaniya in St. Petersburg: Ein russisches Bezirksgericht hat das laufende Verfahren wegen angeblicher Verstöße gegen das Anti-LGBTI+ Propagandagesetz aus formalen Gründen eingestellt. Damit entfällt auch die Geldstrafe in Höhe von 800.000 Rubel (rund 8.170 Schweizer Franken), die im Mai verhängt worden war.
Die traditionsreiche Buchhandlung – seit 99 Jahren eine feste Größe in der russischen Kulturlandschaft – war im April 2025 Ziel einer behördlichen Razzia geworden. Dabei hatten Ermittler gezielt nach Büchern mit queeren, feministischen oder regierungskritischen Inhalten gesucht.
37 Titel unter Verdacht – Bücher sollen „nicht-traditionelle Beziehungen“ fördern
Laut einem Gutachten einer Universität hatten die Behörden insgesamt 37 Titel beanstandet. Diese sollen demnach „nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“ fördern, „Geschlechtsanpassungen befürworten“ oder zur „Verweigerung von Kinderzeugung“ aufrufen. Diese Formulierungen decken sich mit dem breiten Interpretationsspielraum des seit 2013 geltenden Anti-LGBTI+ Propagandagesetzes, das 2022 nochmals massiv verschärft wurde.
Formfehler führt zur Verfahrenseinstellung
Nun hat das Kuibyshevsky-Bezirksgericht entschieden, dass die Fristen während des juristischen Verfahrens nicht korrekt eingehalten wurden. Damit sei das Verfahren aus verfahrenstechnischen Gründen nicht weiterzuführen, die Strafe wird aufgehoben.
Ob das Urteil endgültig ist, bleibt offen. Die Staatsanwaltschaft hat noch die Möglichkeit, Berufung einzulegen. Sollte dies geschehen, müsste eine höhere Instanz über den Fall entscheiden.
Zunehmender Druck auf Kultur und Buchhandel
Der Fall ist kein Einzelfall: Seit der Ausweitung des Anti-LGBTI+ Gesetzes im Jahr 2022 stehen Verlage, Bibliotheken und Kulturschaffende zunehmend unter Druck. Viele Einrichtungen haben begonnen, Inhalte aus den Regalen zu nehmen oder Veröffentlichungen ins Ausland zu verlagern – aus Angst vor Repressionen. Aufgrund der schwammigen Gesetzeslage kommt es immer wieder zu willkürlich wirkenden Durchsuchungen und Strafen.
Im Mai 2025 wurde auch Eksmo, Russlands größter Buchverlag, Ziel einer großangelegten Razzia. Zahlreiche queere Künstler*innen und Kulturschaffende berichten von Zensur, Selbstzensur und wachsender Angst vor staatlicher Verfolgung.
LGBTI+ Bewegung in Russland unter massiven Druck
Ein trauriger Höhepunkt war die Entscheidung des Obersten Gerichts im Jahr 2023, die internationale LGBTI+ Bewegung als „extremistisch“ einzustufen. Seither haben die Behörden noch mehr rechtliche Möglichkeiten, queere Inhalte, Veranstaltungen und Einrichtungen ins Visier zu nehmen. Clubs, Bars, Verlage und Kulturzentren wurden durchsucht oder geschlossen, queere Sichtbarkeit ist in Russland fast vollständig aus dem öffentlichen Raum verschwunden.
Fazit: Kleine juristische Atempause, große politische Unsicherheit
Die Entscheidung des Bezirksgerichts im Fall von Podpisniye Izdaniya bedeutet zwar kurzfristig eine Erleichterung für die betroffene Buchhandlung. Sie ändert jedoch nichts an der grundlegenden Repression gegen queere Themen und kritische Kultur in Russland. Dass überhaupt eine traditionsreiche Buchhandlung wegen ihrer literarischen Auswahl kriminalisiert wird, zeigt, wie weit die staatliche Kontrolle bereits reicht.
Radio QueerLive
News-Redaktion