
Radio QueerLive – eine Berliner Liebesgeschichte
Teil: 22
Helene Berg dreht auf
Sonntagmorgen, 8:47 Uhr.
Tom kam im Bademantel aus dem Schlafzimmer, gähnte und schlurfte in die Küche. Philipp folgte ihm, barfuß, Zahnbürste im Mund, und stieß fast mit Frau Bond zusammen, die mit entschlossener Miene eine Haferflockenpackung in der Hand hielt.
„Morgen, Jungs“, murmelte sie. „Lasst mich durch. Ich brauch Koffein, Hafer – und heute auch Geduld. Viel Geduld.“
„Was hast du vor?“, fragte Tom misstrauisch und öffnete den Kühlschrank.
„Ich mach die Morgensendung. Und ab 14 Uhr… kommt sie.“
Philipp, mit Zahnpastaschaum im Mundwinkel, lallte: „Wer ist sie?“
Frau Bond drehte sich langsam um, als würde sie gleich eine Offenbarung verkünden. „Helene. Berg. Schlager-Stern. Diva in Glanzoptik. Autotune auf High Heels.“
Tom stutzte. „Bitte was?!“
„Live. Hier. Im Wohnzimmer.“
Philipp spuckte fast auf den Fliesenboden. „Du meinst… Helene Berg kommt HIERHER?!“
Frau Bond nickte ruhig. „Korrekt. Und reißt euch bitte zusammen – die hat mehr Instagram-Follower als ihr beide Lebensjahre.“
13:50 Uhr. Wohnzimmer.
Das Sofa war verschoben, die Kabel verlegt, das „On Air“-Schild glühte. Philipp stand über dem Mischpult und richtete das Mikro, während Tom das Terrarium putzte.
„Ich sag’s dir“, murmelte Philipp, „die kommt hier rein, sieht unser Rainbow-Kissen und dreht sofort wieder um.“
„Hoffentlich spürt Willi die Schwingung und tut was“, sagte Tom. „Reptilien haben feine Antennen für unangenehme Vibes.“
Willi züngelte aus seinem Versteck. Ob zustimmend oder hungrig, ließ sich nicht sagen.
13:59 Uhr.
Die Tür öffnete sich mit einem Seufzen.
Und da stand sie.
Helene Berg. Umgeben von dramatischem Duft, Lippenstift wie Notausgangsleuchten, Sonnenbrille, die vermutlich eine eigene GPS-Funktion hatte. Neben ihr: Kevin, ein junger Mann mit Tonkoffer, und ein „Manager“, der aussah wie ihr Praktikant mit zu viel Selbstbräuner.
„Hallo“, säuselte sie. „Ich bin’s. Die Berg.“
„Willkommen bei Radio QueerLive“, sagte Tom höflich.
Helene trat zwei Schritte in die Wohnung, blieb abrupt stehen, ließ den Blick schweifen.
„Das… ist das Studio?“
„Ja“, meinte Philipp mit Stolz in der Stimme. „Wohnzimmerlösung. Das Hauptstudio hatte Wasserrohrbruch.“
Sie zog die Brille ab, als wolle sie prüfen, ob das hier eine Reality-Show sei. „Wie… armutsromantisch. Ist das politisch gemeint?“
„Nein“, sagte Tom trocken. „Das ist Berlin.“
Ihr Blick fiel auf das Terrarium. „Und das da… ist das echt?“
„Das ist Willi. Unser Redaktionswaran“, erklärte Philipp.
Helene beugte sich näher, dann sagte sie ohne Zögern: „Du bist hässlich. Aber irgendwie toll. Hässlich-toll.“
Willi rührte sich nicht. Er war Profi.
14:06 Uhr. Live.
Jakob sprach ins Mikrofon: „Willkommen zurück bei Radio QueerLive. Heute zu Gast: Helene Berg – Schlagerikone, Bühnenwunder, selbsternannte Göttin des Glanzes.“
Helene lächelte spitz. „Ich bin gekommen, um zu geben.“
Tom beugte sich zu Philipp und flüsterte: „Was denn? Zynismus?“
„Blutdruck“, knurrte Philipp.
Jakob fuhr fort: „Was bedeutet Musik für Sie?“
„Musik ist mein Spiegel. Mein Schwert. Meine Wimperntusche“, sagte sie mit geschlossenen Augen.
Dann passierte es.
Willi bewegte sich. Erst langsam, dann zielsicher. Er stieg aus dem Terrarium, schritt elegant über den Kabeltunnel – und sprang auf das Mischpult.
Die Regler flackerten. Ein Jingle lief rückwärts. Helene schrie auf.

„SIE WOLLEN MICH UMBRINGEN!!! DAS IST GIFTIG!! DAS IST EIN MONSTER!! ICH BIN DIE BERG!!!“
Kevin fror ein. Der Manager filmte mit dem Handy.
„Willi! Runter da!“, rief Tom.
„Das ist keine Bühne!“
„Oder doch“, meinte Philipp trocken. „Kommt drauf an, wen man fragt.“
Helene fuchtelte mit den Händen, stolperte fast über das Verlängerungskabel und rief: „RETTET MICH!!“
Sie riss die Tür auf. „Das ist kein Sender – das ist ein Terrarium mit WLAN!!“
Und war weg.
Stille. Jakob beugte sich langsam wieder zum Mikro.
„Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer – wir entschuldigen uns für das vorherige Interview. Und kommen jetzt zu einer Künstlerin mit Reptilien-Toleranz.“
Ein Klick. Musik setzte ein.
„Hier ist: Lady Gaga.“
Tom sah zu Willi, der immer noch auf dem Pult hockte.
„Ich wusste gar nicht, dass Willi auch keinen Schlager mag.“
Philipp lachte. „Tja. Langsam haben wir echt Gemeinsamkeiten.“
Ende, Teil: 22. Morgen geht’s weiter, um 20 Uhr – hier bei Radio QueerLive.