
Geschlechtliche Vielfalt wieder unter Druck
Sophie Koch kritisiert zunehmende Anfeindungen gegen queere Menschen – und fordert Verankerung im Grundgesetz
Berlin
Die Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch (SPD), warnt vor einer wachsenden gesellschaftlichen Polarisierung im Umgang mit queeren Lebensrealitäten. In einem Interview mit der Rheinischen Post äußerte sie sich besorgt über die Zunahme von Feindseligkeiten und sprach von einem Rückschritt im öffentlichen Diskurs über geschlechtliche Vielfalt.
Nach Ansicht Kochs werde heute wieder stärker und grundsätzlich über die Existenz geschlechtlicher Vielfalt diskutiert – teils offener, aber auch aggressiver als noch vor wenigen Jahren. Als besonders bedenklich bezeichnete sie die Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz im vergangenen Jahr. Diese sei von gezielten Desinformationskampagnen begleitet worden, die das Ziel gehabt hätten, queere Menschen in ihrer Identität zu delegitimieren.
Kritik an politischer Rhetorik und Symbolpolitik
Sophie Koch kritisierte zudem die aktuelle Debatte um die Entfernung von Regenbogenfahnen im Deutschen Bundestag. Die Entscheidung, diese Symbole aus Abgeordnetenbüros zu verbannen, sei nicht nur unsachlich, sondern ein beunruhigendes Signal. Besonders die Aussagen von Bundeskanzler Friedrich Merz, der den Bundestag in diesem Zusammenhang als „kein Zirkuszelt“ bezeichnete, sowie das Verhalten von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (beide CDU), stünden exemplarisch für eine Eskalation der Rhetorik, so Koch.
Die Sichtbarkeit queerer Menschen im politischen Raum dürfe nicht zum Spielball parteipolitischer Provokationen werden, warnte sie. Vielmehr müsse es Aufgabe der politischen Verantwortungsträger*innen sein, für eine inklusive Demokratie einzustehen.
Verfassungsrechtlicher Schutz gefordert
Ein zentrales Anliegen Kochs ist die Erweiterung von Artikel 3 des Grundgesetzes, um auch queere Menschen explizit vor Diskriminierung zu schützen. Bislang wird sexuelle und geschlechtliche Identität nicht ausdrücklich als Schutzmerkmal aufgeführt – eine Leerstelle, die aus ihrer Sicht dringend geschlossen werden müsse.
Koch verweist in diesem Zusammenhang auf historische Verantwortung: Queere Menschen seien eine der wenigen Opfergruppen des Nationalsozialismus, die bis heute keinen ausdrücklichen Schutz im Grundgesetz genießen. Angesichts politischer Entwicklungen in Ländern wie den USA oder Ungarn sei der rechtliche Schutz marginalisierter Gruppen auch ein Signal gegen den wachsenden Einfluss autoritärer Strömungen.
Demokratische Grundwerte unter Druck
Die SPD-Politikerin sieht in der aktuellen Entwicklung nicht nur eine Bedrohung für queere Menschen, sondern eine Herausforderung für die gesamte Demokratie. Wenn Menschen das Recht auf Selbstbestimmung und Sichtbarkeit abgesprochen werde, müsse die Gesellschaft klar Position beziehen. Für Koch ist klar: Der Schutz geschlechtlicher Vielfalt ist kein Randthema, sondern ein Gradmesser für die Verlässlichkeit demokratischer Grundwerte.
Radio QueerLive
News-Redaktion